Scherbenpark. Der GJW-Filmtipp

Foto: © Neue Visionen Filmverleih

Vom Erwachsenwerden im sozialen Brennpunkt, von Traumata und Schulgefühlen, von Frustration, die zu Aggression wird und von der Sehnsucht nach Liebe.

Basierend auf dem gleichnamigen Debutroman von Alina Bronsky erzählt „Scherbenpark“ die Geschichte der siebzehnjährigen Sascha, die inmitten des aggressiven Klimas eines sozialen Brennpunkts und vor dem Hintergrund eines Kindheitstraumas erwachsen wird. Seit Sascha mit ansehen musste, wie der Stiefvater ihre Mutter erschoss, hat sich das Mädchen einen emotionalen Schutzpanzer aus Aggressionen und frechen Sprüchen zugelegt. So lange ihr niemand zu nahe kommt, kann ihr auch niemand wehtun – das scheint ihre innere Logik zu sein. Nicht nur von ihrem sozialen Umfeld, sondern auch von den eigenen Emotionen abgeschottet, fühlt sich Sascha isoliert. Wohin sie auch geht, überall scheint sie fremd zu sein.
Saschas Leben gerät endgültig aus den Fugen, als sie in der Zeitung einen versöhnlichen Artikel über ihren inhaftierten Stiefvater entdeckt. Wutentbrannt wendet sie sich an den zuständigen Redakteur, bei dem es sich überraschender Weise um einen ehemaligen Bekannten ihrer Mutter handelt. Volker (Ulrich Noethen) ist Sascha wohlgesonnen und nimmt sie vorübergehend bei sich auf. Doch das Mädchen tut sich schwer, die Nähe Volkers und seines Sohnes Felix (Max Hegewald) zuzulassen und verfällt schnell in alte Muster. Wie kann sie es schaffen, mit der Vergangenheit zu leben und trotzdem in die Zukunft zu schauen?


Themen für weiterführende Gespräche

Die jugendliche Heldin ist eine komplexe Figur, in der vielfältige Themen angelegt sind. Zum einen handelt es sich bei Sascha, ihrer Familie und dem Großteil ihres sozialen Umfelds um Russlanddeutsche, deren spezifische Probleme zwar nur angedeutet werden, jedoch den Ausgangspunkt für weiterführende Gespräche über  die Bevölkerungsgruppe der Deutschrussen sowie die Integration von Migrantinnen und Migranten im Allgemeinen bilden können.
Auch das Leben und Aufwachsen im sozialen Brennpunkt kann anhand von „Scherbenpark“ unter die Lupe genommen werden. Welche Perspektiven bieten sich den Jugendlichen aus Saschas Nachbarschaft? Was beschäftigt sie? Was sind ihre Ziele? „Ich brauch’ kein Mathe mehr. Ich hab die ganze Nacht gekotzt“, konstatiert beispielsweise Saschas beste Freundin Anna, die ein Kind als Alternative zu Ausbildung und Beruf begreift. Sätze wie dieser sowie die Vulgarität der Jugendlichen schockieren uns vielleicht. Es ist wichtig, an dieser Stelle weiterzudenken, Anna und die anderen nicht zu belächeln, sondern zu versuchen, ihre Welt zu verstehen.
Saschas Biographie rückt die Themen Schuld und Vergebung ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit. Das Mädchen gibt sich selbst die Schuld für den Tod der Mutter, bereut, sich nicht zwischen diese und den Täter geworfen zu haben. Ein Großteil ihrer Wut entspringt dem Schmerz dieses Schulgefühls. Weil Sascha sich selbst nicht liebt, kann sie auch nicht zulassen, von anderen geliebt zu werden. „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“, sagt uns die Bibel und meint damit nicht nur die Fürsorge für unseren nächsten. Sascha ist besonders gut darin, sich um das Wohl ihrer Geschwister zu kümmern, nur sich selbst verliert sie oftmals aus dem Blick. „Scherbenpark“ ist ein Film, der uns daran erinnert, wie wichtig es ist, sich geliebt und angenommen zu fühlen, um unsererseits Liebe weiterzugeben.
Aber Sascha muss nicht nur lernen sich selbst zu vergeben. Es ist vielleicht ihre größte Aufgabe, auch den Stiefvater als einen Menschen mit Schwächen und Nöten zu begreifen und zu verstehen, dass ihr Hass nur ihr selbst schadet. Hier verbirgt sich das Potential zu interessanten Diskussionen darüber, was wir vergeben wollen und können und welche Rolle Jesus dabei für uns spielt.

Alle genannten Themen sind in der Geschichte sehr subtil angelegt. „Scherbenpark“ ist kein Film, der den moralischen Holzhammer schwingt oder offensichtliche pädagogische Botschaften vermittelt. In der diesbezüglichen Zurückhaltung der Erzählung und dem zuweilen derben Witz, den die abgebrühte Sascha versprüht, liegt jedoch auch der Charme des Konzepts. Der Unterhaltungsfaktor dürfte es schaffen, auch Kinder und Jugendliche ab 14 Jahren zu begeistern.

Den Trailer kannst du dir hier anschauen.


Sophie Charlotte Rieger (www.filmosophie.com)