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Fachtag „Sichere Gemeinde“ zum Thema „Mächtig ohnmächtig“

Kassel, 15.2.2014. Dieser Termin stand schon seit anderthalb Jahren in meinem Kalender. Umso mehr freute es mich, dass nach all der Vorbereitung und den vielen Telefonaten  sich etwa 80 Teilnehmer aus ganz Deutschland zum zweiten Fachtag „Sichere Gemeinde“ hatten locken lassen! Mit dieser Tagung gingen wir noch einen Schritt weiter und lenkten den Blick auf eine noch subtilere - und daher gefährlichere - Form der Gewalt: Geistlichen Missbrauch. Als Hauptreferentin war Inge Tempelmann geladen, Coach, Beraterin (u.a. für Psychotraumatologie ) und Autorin des Buches „Geistlicher Missbrauch“ aus Lüdenscheidt - damit eine Koryphäe für dieses Thema.

Nach gewohnt wuseligem „Meet & Greet“ im Forum der Kasseler Mönchebergstraße ging es am Morgen los mit einem kurzen biblischen Impuls über die Versuchung Jesu. Die Wüste, so beschrieb es Bastian Erdmann, ist ein Teil des Weges, den Gott mit uns geht; denn - Hand aufs Herz - es ist unwahr, dass das Leben mit Gott keinen Mangel kennt! „Erfolg ist keiner der Namen Gottes.“ Aber wer nicht erfolgreich sein muss, kann darauf verzichten, seine Macht auszuüben, sondern seinen Mitmenschen leitend dienen. Der Satz, der sich mir am meisten eingeprägte, war: „Man kann auch mit der Bibel lügen!“

Das anschließende, fachlich überaus fundierte Referat von Frau Tempelmann, beleuchtete zunächst das Thema Macht ganz neutral als Eigenschaft sozialer Beziehungen. Und als solche, kann und muss sie schützend und fördernd eingesetzt werden. Missbräuchlich wird sie dort, wo es darum geht, eigene Bedürfnisse nach Erfolg und Anerkennung zu Lasten Schwächerer zu befriedigen. Dann werden Beschützer zu Peinigern und Schutzsuchende zu Opfern.

Leider ist geistlicher Missbrauch - und das konnte Frau Tempelmann aus eigener leidvoller Erfahrung berichten - in Kirchen und Gemeinden gar nicht so selten. Das war auch am häufigen Kopfnicken und den anschließenden Fragen der Zuhörer bemerkbar. Es kommt vor, dass Menschen auf der Suche nach Gott im Namen der Bibel oder der traditionellen Lehre manipuliert oder unterdrückt werden. Oder um es mit Martin Buber zu sagen: „Nichts verdeckt das Angesicht Gottes so wie Religion.“ Damit Glaube nicht verunsichert, schwächt oder sogar traumatisiert, braucht es viel Raum zum Zuhören und Verstehen und noch mehr Achtsamkeit und Reflexion beim Umgang mit der Macht. Sonst wird aus Gemeinde eine „Sekte mit Evangelium (FROHER Botschaft!) im Schaufenster“. Leider werden in Missbrauchssystemen die konstruktiven Kritiker oft als Problem dargestellt - statt als Chance zur Veränderung!

Zu den präventiven Elementen gegen geistlichen Missbrauch gehören wie bei der Prävention anderer Gewaltformen Partizipation aller Teilnehmenden, eine an Menschen orientierte Lehre und eine positive Beschwerdekultur.

Nach einer deftigen Käsesuppe, mit der uns die Mitarbeitenden vor Ort verwöhnten, wurden während einer Podiumsdiskussion unterschiedliche Aspekte und Erfahrungen bei der Umsetzung des „Sichere Gemeinde“-Konzepts vorgestellt. Bastian Erdmann und Lea Herbert interviewten Mitarbeitende aus den Gemeinden Berlin-Schöneberg, Stuttgart-Forststraße und Pinneberg, sowie vom Netzwerk gegen Menschenhandel, die interessante Einblicke in ihre Arbeit vor Ort gaben.

Anschließend bestand für alle Teilnehmenden die Chance, das Gehörte während zweier Workshopphasen zu vertiefen. So waren zum Beispiel „Neue Formen der Partizipation“, „Macht braucht Kontrolle“ oder „Wie wir manipuliert werden“ im Angebot, um nur drei der Seminartitel zu nennen. Wäre ich Teilnehmerin gewesen - ich hätte nicht gewusst, wofür ich mich entscheiden sollte. Interessant klangen sie alle! Da ich aber selbst einen Workshop leitete, nutzte ich eine verlängerte Kaffeepause für Gespräche mit netten Menschen und zum Stöbern am Büchertisch.

Alles in allem ein überaus gelungener Tag, voll mit neuen Erkenntnissen und guten Begegnungen. Ein dickes Dankeschön an alle, die zum Gelingen beigetragen haben!

Maike Telkamp, München