Der GJW-Filmtipp im Mai

Mit dem Frühling kommen auch die Frühlingsgefühle. Aber das mit der Liebe ist oftmals gar nicht so einfach. Gesellschaftliche Konventionen und Zweifel an uns selbst legen uns immer wieder Steine in den Weg. Deshalb präsentiert der Filmtipp dieses Mal drei Geschichten für Jugendliche und junge Erwachsene, die diesen Problemen auf den Grund gehen wollen:


The Lobster

In einer nicht näher verorteten Zukunft ist die Paarung des Menschen gesetzlich vorgeschrieben. Singles werden in Kuppelhotels dazu angehalten, eine Beziehung miteinander einzugehen und gelingt ihnen dieses Unterfangen nicht in der gebotenen Frist, werden sie in ein Tier verwandelt. Das immerhin können sie sich aussuchen - der Held der Geschichte (Colin Farrell) wählt den Hummer. Die Gesetzlosen, auf die in den Wäldern Jagd gemacht wird, sträuben sich gegen den staatlichen Ehezwang und lehnen jedwede Form der Beziehung – und sei sie noch so platonisch – kategorisch ab. Doch ist das wirklich die bessere Alternative?
Regisseur Yorgos Lanthimos präsentiert einmal mehr eine äußerst skurrile und zugleich sehr treffende Gesellschaftssatire. „The Lobster“ fasziniert und unterhält deshalb so großartig, weil wir trotz der vermeintlich haarsträubenden Geschichte, an so vielen Stellen andocken können. Denn ist es nicht tatsächlich so, dass ein gesellschaftlicher Druck zur Eheschließung besteht und dass Alleinstehende, insbesondere ab einem gewissen Alter, skeptisch beäugt werden?! Warum eigentlich?
„The Lobster“ drängt uns die Infragestellung der gängigen Definitionen von Liebe und Romantik quasi auf. Was macht denn die Liebe zwischen Partner_innen aus? Wie grenzt sich die romantische von der freundschaftlichen Liebe ab und wie können wir wissen, mit welchem Menschen wir unser Leben verbringen wollen? Und wollen wir das überhaupt? Am allerwichtigsten aber ist die Frage: Was ist denn die Alternative?

Aus unerfindlichen Gründen hat „The Lobster“ keinen deutschen Kinostart bekommen. In einzelnen Städten wird er dennoch für einige wenige Aufführungen zu sehen sein. Und die gute Nachricht ist: „The Lobster“ ist auf DVD erschienen!

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Petting Zoo

Die texanische Stadt San Antonio, die 2011 in den USA die höchste Rate an minderjährigen Schwangeren verzeichnete, ist der Spielort von Micah Magees Coming of Age Drama „Petting Zoo“, in dem es um genau dieses Thema geht: Heldin Layla (Davon Keller) ist Einserschülerin und hat mit Hilfe eines Stipendiums die Chance, ihre prekären Lebensverhältnisse im White Trash Milieu der US-Südstaaten für immer hinter sich zu lassen. Doch kurz vor ihrem Abschluss stellt Layla fest, dass sie von ihrem dauerbekifften Exfreund, dem Schulabbrecher Danny (Kiowa Tucker), ein Kind erwartet. Ihre Eltern weigern sich, einer Abtreibung zuzustimmen und zwingen Layla damit, den Traum von höherer Bildung vorerst aufzugeben.
Die unaufgeregte Inszenierung dieser im Grunde dramatischen Geschichte ermöglicht einen sehr direkten Zugang zur Lebenswelt der Hauptfigur. Dass Filemacherin Micah Magee keine der Figuren verurteilt, Entscheidungen nicht wertet, gibt uns als Zuschauer_innen überdies die Möglichkeit, uns eine eigene Meinung zu bilden. Wie würden wir handeln? Welche realistischen Alternativen gibt es und wie könnte das soziale Umfeld Layla unterstützen? Ist Mutterschaft und höhere Bildung denn wirklich unvereinbar und wie könnte die Gesellschaft, unser Bildungssystem und auch die Berufswelt dazu beitragen, diesen Widerspruch aufzulösen? Ist eine Abtreibung moralisch vertretbar, wenn ja unter welchen Bedingungen und wer darf das eigentlich entscheiden?

Kinostart: 19. Mai 2016

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Der Nachtmahr

Irgendwo zwischen Traum, Wahn und Realität wird die 17-jährige Tina (Carolyn Genzkow) vom Nachtmahr heimgesucht, der den Kühlschrank im elterlichen Heim leer frisst und schließlich in ihr Mädchenzimmer einzieht. Während der kleine Gnom zu Beginn die Heldin wie auch das Publikum ängstigt, entpuppt er sich als durchaus freundlicher Geselle, der keine Bedrohung darstellt. Zumindest nicht direkt, denn Tinas Eltern glauben ihr Kind in einer gefährlichen Psychose und unternehmen alles, um sie von ihrem ungewöhnlichen Freund zu trennen.
Der Nachtmahr ist einer der raren deutschen Genre-Filme, ein von Stroboskopeffekten und Techno durchgezogener, rauschhafter Coming of Age Film mit deutlich sichtbaren Anleihen von E.T. Auch dieser diente schon als Projektionsfläche für die heranwachsende Hauptfigur. Der Nachtmahr ist nichts anderes als Tinas „hässliche“ Seite, die ihr von der Gesellschaft als Mädchen versagt wird. Der Gnom ist gefräßig, aufdringlich und vor allem so gar nicht ansehnlich. Schnell wird klar, dass Tina in ihrem Leben nur weiterkommt, wenn sie diese Facette ihrer Persönlichkeit annimmt und umarmt. Das Drama entsteht nicht aus dem fremden Wesen, sondern aus den Bekannten – den Eltern, den Freund_innen, Lehrer_innen und Therapeut_innen – die ihr diesen Prozess der Selbstliebe erschweren.
Der Nachtmahr macht die Entfremdungsgefühle der Pubertät sichtbar und hilft somit auch dabei, über dieses Thema ins Gespräch zu kommen. Vielleicht gibt es auch in uns Facetten, die wir lieber verstecken wollen. Aber machen sie uns nicht erst zu den Persönlichkeiten, die wir sind? Wie können wir es schaffen, uns selbst anzunehmen und damit – frei nach dem biblischen Motto „liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ – auch anderen mit Liebe zu begegnen?

Übrigens: Auch wenn es zunächst so scheint, ist „Der Nachtmahr“ kein Horrorfilm, auf Grund der Arbeit mit Licht und Ton jedoch definitiv ein intensives Kinoerlebnis und daher vor allem für Jugendliche ab 16 geeignet.

Kinostart: 26. Mai 2016

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Sophie-Charlotte Rieger
www.filmloewin.de