„12 Years A Slave“, „Der blinde Fleck“ & „Staudamm“ - Der GJW-Filmtipp im Januar!

Das Kino erfindet nicht nur Geschichten, es erzählt uns auch von der Wirklichkeit. Der Januar wartet mit drei sehr unterschiedlichen filmischen Annäherungen an die Realität auf, die uns nicht nur etwas über unsere Welt erzählen, sondern auch darüber, wie wir sie wahrnehmen.

„12 Years A Slave“
„12 Years A Slave“ ist in vielerlei Hinsicht eine sehr klassische Erzählung. Zunächst einmal weil der Film auf der Autobiographie von Solomon Northup beruht und somit eine klassisch chronologische Wiedergabe dessen Lebens darstellt. Zum anderen weil diese Autobiographie zum in den USA sehr traditionellen Literaturgenre der „Slave Narrative“ gehört. Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor) lebt Mitte des 19. Jahrhunderts als freier Mann im Norden der USA, wird jedoch durch Menschenhändler als Sklave in die Südstaaten entführt. All seiner Rechte beraubt, bleibt Solomon nichts anderes übrig, als sich in sein Schicksal zu fügen. Doch er kann die Hoffnung, einst zu seiner Frau und den beiden Kindern zurückzukehren, niemals ganz aufgeben.
Regisseur Steve McQueen zeigt die US-amerikanische Sklaverei in aller Deutlichkeit. Dabei mutet er seinem Publikum nicht nur Bilder körperlicher, sondern auch seelischer Gewalt zu. Auf Grund dieser intensiven Darstellung ist „12 Years A Slave“, obwohl ab 12 Jahren freigegeben, erst ab einem Alter von 16 Jahren zu empfehlen. Der Film bietet nicht nur eine gute Grundlage für Gespräche über die Institution der Sklaverei, sondern auch über die Bedeutung von Bildung für die Freiheit und Selbstbestimmung eines Menschen sowie über die Motive und Funktion des autobiographischen Erzählens.
Kinostart: 16. Januar 2014

„Der blinde Fleck“
Das Aufdecken politischer Intrigen ist traditionell ein Thema des amerikanischen Thriller-Genres. „Der blinde Fleck“ jedoch zeigt, dass es auch in der deutschen Geschichte Kapitel gibt, die uns vorenthalten werden. Basierend auf der Recherche und Dokumentation des Journalisten Ulrich Chaussy (hier gespielt von Benno Führmann) erzählt „Der blinde Fleck“ vom Oktoberfestattentat 1980. Schnell wird ein Einzeltäter für die Tat verantwortlich gemacht, doch Ulrich Chaussy will sich mit der Antwort nicht zufrieden geben. Seine Recherchen führen ihn in die rechte Szene, doch aus zunächst unerfindlichen Gründen möchte niemand dieser Spur nachgehen. Chaussy riskiert alles, um den Fall aufzuklären, sogar sein eigenes Leben.
„Der blinde Fleck“ kann nicht an die Qualität und das Tempo amerikanischer Thrillerproduktionen heranreichen. Dafür betrifft uns dieser Film viel stärker als das US-Kino. Nicht nur, dass wir uns hiermit bewusst machen müssen, dass auch in unserem Land politische Interessen zuweilen über die Wahrheitsfindung gestellt werden, uns wird auch die Bedeutung der freien Presse klar vor Augen geführt. So bietet „Der blinde Fleck“ Gelegenheit für medienkritische Diskussionen. Der Film hat durch den NSU-Prozess zudem einen extrem starken Gegenwartsbezug.
Kinostart: 23. Januar 2014

„Staudamm“
Einen Blick auf die junge deutsche Geschichte werfen Regisseur Thomas Sieben und Drehbuchautor Christian Lyra mit „Staudamm“. Der Amoklauf im Zentrum der Geschichte ist zwar fiktiv, wurde jedoch maßgeblich durch die Ereignisse im Erfurter Gutenberg Gymnasium beeinflusst. Statt sich der Tat selbst zu widmen, folgt der Film einem Außenstehenden. Roman (Friedrick Mücke) liest Gerichtsakten ein und stößt dabei auf den Fall des Amoklaufs in einer Schule. Als er an den Tatort reist, um weitere Unterlagen entgegenzunehmen, macht er die Bekanntschaft einer Überlebenden, die ihm nach und nach ihre Perspektive auf die Ereignisse offenbart.
„Staudamm“ stellt die Frage danach, wie wir das Unbeschreibliche beschreiben können oder wollen. Die trockene juristische Sprache der Akten steht in eklatantem Gegensatz zu der emotionalen, ja traumatischen Erfahrung der betroffenen Laura (Liv Lisa Fries). Lange Zeit lassen die Filmemacher ihr Publikum im Unklaren über die Identität und Motive des Täters, wodurch sie viel Raum für eigene Überlegungen und Interpretationen liefern. Somit eignet sich der Film gut als Ausgangspunkt für Gespräche über dieses umstrittene Thema: Was bewegt einen Menschen zu einer solchen Tat? Gleichzeitig ruft „Staudamm“ aber auch dazu auf, sich weniger mit dem Täter und stärker mit den Überlebenden zu beschäftigen: Wie können wir ein solches Ereignis verarbeiten? Wie können wir als Außenstehende dabei helfen, Wunden zu heilen?  
Kinostart: 30. Januar 2014


Sophie Charlotte Rieger (www.filmosophie.com)