Der Kummer darf pausieren
von Frauke Bohge | erschienen in HERRLICH 02|2022 | Seiten 16-17 | 2:17 Min
Fast zehn Jahre habe ich menschenleere Stadtansichten gemalt. Kurze Momente, die ich selbst erlebt habe (z. B. besondere Lichtverhältnisse) oder konstruierte Sehnsuchtsorte. Dann kamen auf einmal die Menschen in meine Bilder: erst die ganz alten. Was mich interessierte, waren faltige, zarte Wangen, geputzte schwarze Lederschuhe und eine „Haltung“, die ich mit diesen alten Berliner Personen verband. 2020 habe ich plötzlich ein ganz neues Thema für mich entdeckt: die Kindheit. Diese interessante Phase des Lebens, verbinden wir fast automatisch mit Hoffnung, Unbekümmertheit und Freiheit. Aber auf den zweiten Blick (oder aus der Perspektive einer Mutter, eines Vaters) wird schnell klar, dass unsere erwachsene Perspektive hier viel projiziert. Kindheit als Sehnsuchtsort und romantisierter Zustand der Alltagsflucht vielleicht?
Wie oft erlebe ich bekümmerte Kinder? Zu oft! Aber ich denke nicht, dass wir in einer besonders heftigen Zeit leben, auch wenn ich in den letzten drei Jahren zwischenzeitlich das Gefühl hatte. Vielmehr denke ich, dass schon zu Jesu Lebzeiten die Kindheit auch eine harte Zeit war. Und auch heute bin ich oft erstaunt über die sorgenvollen Fragen meiner eigenen Kinder: nach dem Zustand unserer Meere zum Beispiel. Ich male Kinder, die gerade voll und ganz im Moment sind. Da sehe ich etwas Großes, das ich mir auch für mein Leben wünsche: mit dem ganzen Körper eine Erfahrung machen und sich dann nur dieser widmen. Diese Fähigkeit eint wahrscheinlich alle Kinder, egal wann und wo sie aufwachsen. Man erkennt diese kurzen Glücksmomente schnell, wenn man mal darauf achtet.
Der Kummer gehört seit jeher zu meinem Berufsstand. Selten ist ein Leben als KünstlerIn einfach. Ich fühle mich gesegnet, dass ich im Malen (im künstlerischen Arbeiten überhaupt) „wie ein Kind“ sein kann und noch etwas Gutes dabei herauskommt. Der ganze Kummer der Welt, mein Kummer über den Zustand der Welt, ist dann woanders, darf pausieren.
Bilder (Öl auf Leinwand):
linke Seite: „Zeitsprünge“ (2020), 125 x 100 cm;
unten links: „Sich spiegeln“ (2020), 160 x 147 cm;
unten rechts: „Rosa“ (2020), 160 x 147 cm.
Frauke Bohge, geb. 1983, lebt und arbeitet in Berlin. Sie hat Kunst und Philosophie an der Universität Potsdam studiert und seit 2008 regelmäßige Ausstellungen im In- und Ausland. Die nächste („Von Clowns und anderen Schweinehunden. Bilder unserer selbst.“) findet vom 11.11. bis 4.12.2022 in der Galerie des Vereins Berliner Künstler in Berlin statt (www.vbk-art.de).