Nils Meinzer in Prag (© GJW)

„Gemeindegründung, Vielfältige Gemeinden, Leiterschaft.“

BERICHT der EBF Youth and Childrens Workers Conference 2013 von Nils Meinzer

Jedes Jahr im Januar findet die EBF Youth and Children Workers Conference statt. Das ist ein Treffen von Delegierten aus den Baptistenbünden der EBF (European Baptist Federation), die im Kinder-, Jugend- und Junge-Erwachsenen-Bereich tätig sind. Dieses Mal traf man sich vom 11. bis 16. Januar in Prag.

Nils hat nun einige Schwerpunktthemen der Konferenz zusammengefasst, analysiert und weiterführende Fragen gestellt ...

Übersicht

1. Inspirierendes aus Großbritannien: Gemeinde für die "Missing Generation"
2. Diversity als europa- und weltweites Thema
3. Trendthema Migration – Erfahrungen aus anderen europäischen Bünden
4. Leiter- und Jüngerschaft
5. Das GJW als Teil der europäischen Kirchenfamilie


1. Inspirierendes aus Großbritannien: Gemeinde für die "Missing  Generation"

"We gave young people rules and stories but we forgot to make them disciples" (Ian Bunce, GB). Die Generation zwischen 18 und 30 in den englischen Baptistengemeinden hat ihre Kirche zu großen Teilen verlassen. Unvereinbare Formen, theologische Standpunkte etc. sind der Grund. Die fehlende Präsenz von 18-30-Jährigen führt dazu, dass sich auch keine neuen Leute diesen Alters den Gemeinden anschließen, denn "the missing generation needs peers in church".

Die Reaktion des britischen Baptistenbundes ist eine inspirierende Gemeindegründungsinitiative, die zeigt, dass neben Willow Creek, ICF, Hillsong und Co. positive Entwicklungen in den Kirchen unserer eigenen Konfessionsfamilie zu beobachten sind, auch wenn diese bei uns nicht so bekannt sind.

In 30 englischen Städten haben sich regelmäßige regionale Veranstaltungen ("around food"), die von jungen Erwachsenen selbstständig organisiert werden, etabliert. Begleitet werden die Events durch das Youth Department der UK-Baptisten. Dass es "some kind of church" – eine Art Kirche –  ist, wurde den Engagierten jungen Erwachsenen und den Veranstaltungsbesuchern bislang nicht verraten.
www.missinggeneration.com


2. Diversity als europa- und weltweites Thema

Der Gottesdienst, den wir in Prag besuchten, glich liturgisch – obwohl es in Baptistengemeinden ja eigentlich keine Liturgie gibt – einem deutschen Gottesdienst verblüffend: Willkommen, Grüße, Hillsong-Lobpreis, Predigt, Segenslied. Auch das Gemeindegebäude und der Gottesdienstsaal kamen irgendwie bekannt vor. Zufall oder sind Baptistengemeinden einfach „alle gleich“?

Diversity – also Vielfalt oder auch Verschiedenheit – war ein wiederkehrendes Thema der Konferenz. Alle Anwesenden bewegte das Thema – auf verschiedene Weise. Der Grundtenor war, dass Baptistengemeinden grosso modo keine Vielfalt abbilden.

Von den Konferenzteilnehmenden wurde mehrfach geäußert, dass man sich eine Kirche wünsche, die einer größeren Zahl von Ethnien, Lebens- und Frömmigkeitsformen eine Heimat bietet. Doch gleichzeitig wurde deutlich, dass das innere Bild der „richtigen“, der „gottgewollten“ Lebensführung tief sitzt. Dies lässt sich an einer Anekdote verdeutlichen:

Die Mitarbeiterin eines Jugendwerks hatte Kontakt zu einer jungen Frau, die das glamouröse Leben einer Tänzerin führte. Sie lebte mit ihrem Freund in einer gemeinsamen Wohnung. Die Tänzerin hatte Interesse an Gott gewonnen und so intensivierte sich der Kontakt und die junge Frau fand Anschluss an die Gemeinde. Nach kurzer Zeit kamen Mitglieder der Gemeinde auf die Mitarbeiterin zu und fragten sie, ob sie schon mit der Tänzerin wegen der Tatsache gesprochen habe, dass diese mit ihrem Freund zusammen in einer Wohnung lebte. Die Mitarbeiterin verneinte dies. Nach etwa einem Jahr kam die junge Tänzerin (endlich) auf die Mitarbeiterin zu und fragte sie, ob sie ihre Wohnsituation ändern müsse. Die Mitarbeiterin wusste nicht, wie sie reagieren sollte und bot der jungen Frau daher an, gemeinsam in der Bibel nach einer Antwort zu suchen.

Hier endete die Anekdote. Wahrscheinlich ist die junge Tänzerin bei ihrem Freund ausgezogen. In jedem Fall machte sich Erleichterung bei vielen Zuhörern breit. „Man müsse oft Geduld haben“ meinte ein anwesender Jugendmitarbeiter. Die Option, dass die junge Frau mit ihrem Freund zusammenlebt und trotzdem ein Teil ihrer Gemeinde ist, schien nicht möglich.

Vielfalt konfrontiert uns mit der Realität

Erfahrungsberichte der Konferenzteilnehmenden zeigen, dass Verschiedenheit zu großen Konflikten und in Konsequenz zu Trennung führen kann. So gab es Gemeinden, die große Migrantengruppen aufgenommen haben: Gemeinsame Gottesdienste, gemeinsames Praktizieren von Spiritualität, gemeinsame Leitungsgremien etc. Das ging einige Jahre gut, endete aber mit einem totalen Zerwürfnis. Hier wird deutlich, dass Verschiedenheit spannungsreich sein kann und dass trotz der größten Spannungstoleranz Risse entstehen können. Deswegen sollte man sich gut überlegen, was Vielfalt im Hinblick auf Gemeinde und ihren Alltag bedeutet: Machen alle alles zusammen? Oder geht es darum, Menschen immer wieder in Kontakt zueinander zu bringen, in dem sie sich in ihrer Verschiedenheit wertschätzen? Ich gebe zu, diese Fragen sind suggestiv gestellt.

Ich bin überzeugt, dass Menschen Verschiedenheit erleben müssen, dass Vielfalt besser ist als baptistische „Klone zu produzieren, die keinen Sex haben und sich nicht besaufen“ (O-Ton eines Teilnehmers). Denn "diversity brings us the problems that connect us with reality" (Emmett Dunn, BWA). Es stellt sich die Frage, wie wir diese Vielfalt praktizieren und ob wir sie fördern. Konkret habe ich zwei Fragen dazu formuliert:

1. Welche Arenen eignen sich, um Gruppen zusammenzubringen und ihnen gleichzeitig ihre eigenen Kultur zu lassen (und damit Vielfalt und Verschiedenheit zu fördern)?

2. Wie können wir die Gründung von andersartigen Gruppen (Gemeinschaften) unter unserem Dach fördern?


3. Trendthema Migration – Erfahrungen aus anderen europäischen Bünden

In den nächsten zehn Jahren wird ein Großteil der jungen Menschen in den westlichen Ländern einen Migrationshintergrund besitzen. Migrationsbewegungen in die westlichen Länder werden aufgrund der Lebensbedingungen und Jobchancen weiterhin zunehmen. Das betrifft auch Gruppen von Christen unterschiedlicher kultureller Prägung. Hier müssen wir uns fragen, wie wir frühzeitig in einen Dialog mit diesen Gruppen treten können. Es wird darum gehen, die Werte und Überzeugungen, die wir persönlich und kollektiv schätzen, in solche Dialoge einzubringen.

Mit unserem Ansatz „internationale“ Gemeinden stärker als Teil unseres Bundes wahrzunehmen, sind wir auf einem guten Weg. Im norwegischen Baptistenbund haben 50 % der Vorstandsmitglieder und Angestellten einen Migrationshintergrund, während es vor einigen Jahren lediglich 5 % waren.

Auch beim Thema Migration, das in engem Zusammenhang mit dem Diversity-Thema diskutiert wurde, ging es letztlich um die Frage der Ziele: Wollen wir separierte Gruppen oder gemeinsame? Wo sind die Begegnungsräume? Wo liegen Gemeinsamkeiten? Geht es um eine gemeinsame Nutzung von Gebäuden? Sponsern wir internationale Gemeinden und belassen ihnen ihre Unabhängigkeit? Ist Lobpreis eine kulturelle Erfahrung? Auf welcher Ebene sind Begegnungen nötig – innerhalb einer Ortsgemeinde, auf regionalem Level?


4. Leiter- und Jüngerschaft

Sowohl plenar als auch im persönlichen Gespräch wurden die Themen „Leadership“ und „Discipleship“ auf der Konferenz kontrovers diskutiert. Ohne zu einem Konsens zu kommen, wurden viele Fragen und interessante Aspekte aufgeworfen:

  • Jesus beruft „uns“ zur Nachfolge.
  • Mitarbeitende haben die Verantwortung, Fußabdrücke für eine jüngere Generation zu hinterlassen.
  • Sind es die Fußabdrücke der Mitarbeitenden oder die Fußabdrücke Gottes, die zählen?
  • Müssen „wir“ Menschen verändern?
  • Mitarbeitende können „ihre Fußabdrücke“ anbieten, ob ihnen jemand folgt ist die Sache des heiligen Geistes.
  • Wollen junge Leiter überhaupt, dass man ihnen folgt?
  • Heißt „mit Gott“ gehen - auch eigene Wege zu gehen?
  • Kann die junge Generation auch eigene Wege gehen und neues Land entdecken?
  • Junge Leute folgen immer jemandem oder etwas. Egal ob es Ideen, Menschen aus ihrem Umfeld oder Idole sind. Wir haben die Möglichkeit, sie zu Nachfolgern Jesu zu machen.
  • Jungen Leuten fehlen Rollenvorbilder in der Nachfolge Jesu.
  • Müssen Mitarbeitende mit „den jungen Menschen“ befreundet sein?
  • Ist Vertrauen nur in einer freundschaftlichen Beziehung möglich?
  • Besteht ein Unterschied zwischen Vorbild und Freund?
  • Macht die bedingungslose Annahme von Menschen sie zu Nachfolgern?
  • Junge Leute wissen oft nicht, was sie wollen. Manchmal muss man ihnen zeigen, was sie wollen können.
  • Planen wir unsere Programme nicht zu oft im Sinne einer Erziehungsanstalt ("school like").
  • Brauchen junge Menschen Erfahrungsräume?
  • Welche Rolle spielt das Mentoring/die Lebensbegleitung?
  • Ein bekanntes Mentoring-Modell hat die folgenden Prinzipien: 1. Folge selber einer Person. 2. Werde begleitet durch zwei Personen. 3. Werde gefolgt von maximal drei Personen.
  • Wie sieht unsere „Lehre“ aus?
  • Leitung heißt Sendung. Sende Menschen! Sende sie aus, riskante Dinge zu tun, bevor sie bereit sind. ("...sent them out to do risky things before they were ready.")
  • Wie kann ich als Leiter mit eigenem Versagen umgehen?


Mir fiel auf, dass Fragen nach Leiterschaft und Jüngerschaft, die m.E. nach auch in der deutschen evangelikalen Szene eine gewisse Konjunktur haben, im GJW-Alltag nur am Rande vorkommen. In den Gruppen für die „junge Gemeinde“ existieren oft weder klassische Leitungspositionen, noch ein Leitungsselbstverständnis unter den Mitarbeitenden. Vielerorts gibt es keine Jugendleiter/innen, sondern Jugendmitarbeiter/innen, die ihre Rechte und Pflichten untereinander aufteilen. Die hierarchische Distanz zwischen Teilnehmenden und Mitarbeitenden wird in unseren Gemeinden mit zunehmenden Alter geringer: Pfadfinder, Jungscharler/innen, Teenager werden früh zu Mitarbeitenden.

Als GJW haben wir in unserer „UP TO YOU“-Konzeption eine klare Position zum Thema Leitung und zur Rolle von Mitarbeitenden formuliert: Als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nehmen wir Kinder, Jugendliche und Junge Erwachsene ernst, fangen bei ihren Bedürfnissen an und fragen sie, was sie denken und von Jesus wollen. Wir folgen Jesus nach und laden als Vorbilder dazu ein, ihm nachzufolgen. Wir gestalten die Arbeit so, dass Kinder und Jugendliche selbst Erfahrungen mit Jesus machen und heil werden.

In einer anderen Fassung formulieren wir die UP TO YOU-Formel wie folgt:

  • Auf Kinder und Jugendliche kommt es an. Sie gestalten ihr Programm.
  • Auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommt es an. Sie begleiten, fördern und ermutigen Kinder und Jugendliche.
  • Auf Jesus Christus kommt es an, Gottes Sohn, den Fachmann für gelingendes Leben.

Ich halte dieses Leitungsverständnis für zeitgemäß und zukunftsfähig und bin davon überzeugt, dass  wir „UP TO YOU“-gemäße Leitung und Mitarbeit noch intensiver vermitteln müssen.


5. Das GJW als Teil der europäischen Kirchenfamilie

Wir sind Teil der europäischen baptistischen Jugendarbeit und können von anderen Ländern lernen und selber Baptistenbünde in anderen Ländern unterstützen.

Es gibt ein großes Interesse an den Konzepten und Ideen, die wir zur „Sicheren Gemeinde“ (insb. die Frage nach geistlichem Missbrauch) oder „Kirche 21“ entwickelt haben. Hier könnten wir als GJW unser Know-How anderen Unionen zur Verfügung stellen.

Ebenso wurde Interesse daran bekundet von unserem logistischen Know-How bei der Durchführung von Großveranstaltungen (BUJU, BULAG) zu lernen. Auch hier müssen wir darüber nachdenken, ob und wie eine Unterstützung möglich ist.

Nils Meinzer, Vorsitzender des GJW-Bundesvorstands