Das Mädchen Wadjda - Der GJW-Filmtipp

Haifaa Al mansour ist die erste weibliche Filmemacherin Saudi Arabiens. Ihr Film „Das Mädchen Wadjda“ ermöglicht Groß und Klein den Einblick in eine fremde Kultur und Religion und zeigt Probleme ebenso wie die Notwendigkeit der Hoffnung.

Haifaa Al Mansour ist nicht nur die erste weibliche Filmemacherin Saudi Arabiens, sondern auch ein Sprachrohr für die weibliche Bevölkerung ihres Heimatlandes. Kein Wunder also, dass Frauen in ihrem Kinodebut die Hauptrolle spielen. Wadjda (Waad Mohammed) ist ein ungewöhnliches Mädchen, das unter seiner traditionellen Kleidung Chucks trägt, heimlich Popmusik hört und auf dem Schulhof selbstgemachte Fußballarmbänder verkauft. Ihr größter Traum ist ein eigenes Fahrrad, um endlich mit dem Nachbarsjungen ein Wettrennen veranstalten zu können. „Mädchen fahren nicht Fahrrad“, sagt die Mutter. Doch Wadjda gibt nicht auf. Der Spielzeugladen um die Ecke hat ein gar herrliches grünes Rad, das – so ist sie sich sicher – nur für sie bestimmt ist. Irgendwie wird sie die 800 Rial schon aufbringen. Zum Beispiel mit dem Koranwettbewerb, den die Schule veranstaltet. Wenn Wadjda hier gewinnen kann, steht ihrem Traum nichts mehr im Wege. Oder vielleicht doch?
Haifaa Al Mansour nimmt den Zuschauer mit in Wadjdas Welt. Wir sehen alle Ereignisse durch ihre Augen und was hinter ihrem Rücken stattfindet, bleibt auch uns unbekannt. So haben wir die Möglichkeit ihre Lebensrealität, die von unserer so weit entfernt ist, zu begreifen. In erster Linie ist es die Stellung der Frau und die Situation junger Mädchen, die uns hier vor Augen geführt werden. So ist es vollkommen normal, dass eine von Wadjdas Schulkameradinnen verheiratet wird oder wegen unerlaubter Männerbekanntschaften das Haus nicht mehr verlassen darf. Während die kleine Heldin uns die Probleme ihrer Generation näher bringt, ermöglicht uns die Figur der Mutter (Reem Abdullah) einen Einblick in das Leben der erwachsenen Frauen. Die Mutter nämlich hat ihre ganz eigenen Probleme: Als Frau darf sie nicht Auto fahren und ist bei der Ausübung ihres Jobs voll und ganz auf das Entgegenkommen ihres Fahrers angewiesen. Außerdem befürchtet sie, ihr Mann könne sich eine Zweitfrau nehmen, weil sie selbst keine Kinder mehr bekommen kann.
„Das Mädchen Wadjda“ ist manchmal harter Tobak. Die Geschichten der beiden Hauptfiguren rühren und bedrücken, machen vielleicht gar wütend. Das Bezaubernde an Haifaa Al Mansours Film ist jedoch, dass sie ihren Fokus nicht auf das Negative legt. Wadjdas Optimismus, ihr unerschöpflicher Traum von etwas scheinbar Unerreichbarem, ist dabei wegweisend. Damit kann Al Mansour nicht nur unterdrückten Frauen Mut machen. Im Grunde zeigt sie jedem ihrer Zuschauer, dass es sich immer lohnt, für die eigenen Träume zu kämpfen und dass kein Kampf von vornherein verloren ist.
Der Film ist ruhig erzählt. Das Setting ist durch helle Farbtöne geprägt, die ewig brennende Sonne scheint auch uns zu blenden. Kleinere Kinder finden in dieser eher farblosen und wenig abwechslungsreichen Ästhetik vermutlich kaum etwas, dass ihre Aufmerksamkeit dauerhaft fesseln kann. „Wadjda“ ist im Grunde nicht als Kinderfilm konzipiert. Die 10-jährige Protagonistin bietet gleichaltrigen Zuschauern jedoch ausreichend Identifikationspotential, um ihr Interesse für die Erzählung zu wecken. Der außergewöhnliche Einblick in die Welt Saudi Arabiens und die sehr berührende Geschichte begeistern altersübergreifend.



Anknüpfungspunkte für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen

Je nach Altersgruppe ist „Das Mädchen Wadjda“ Ausgangspunkt für unterschiedliche Gespräche und Gruppenarbeiten. So können sich kleinere Kinder mit ganz grundsätzlichen Fragen beschäftigen, um die Welt der Heldin zu begreifen: Was ist in Wadjdas Schule und Familie anders als bei uns? Gibt es Gemeinsamkeiten? Wie unterscheidet sich im Film das Leben von Mädchen und Jungen? Wadjdas Koranunterricht bietet außerdem die Möglichkeit, sich auf unterschiedlichen Ebenen mit dem Islam auseinanderzusetzen: Wie gehen die Kinder im Film mit ihrer Heiligen Schrift und wie gehen wir mit der unsrigen um? Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten gibt es? Welche Rolle spielt die Religion im Leben der Protagonisten?
In der Arbeit mit älteren Gruppen lohnt es sich, den Film kontextuell einzubetten und sich mit der Stellung der Frau im Islam und im Christentum zu befassen. Dabei sollte natürlich darauf geachtet werden, dass die von Haifaa Al Mansour gezeigte Unterdrückung der Frau nicht mit dem Islam gleichgesetzt wird.
Weiterführende Fragen könnten sich mit der Symbolik des Fahrrads befassen. Wadjda wagt sich, nach etwas zu streben, was sich vollkommen außerhalb ihrer gesellschaftlich festgelegten Reichweite befindet. Was bedeutet dieser Wunsch nach dem Fahrrad wirklich? Welche Rolle spielt dabei die Religion? Ist der Koranunterricht für Wadjda nur Mittel zum Zweck? Und wo stoßen wir selbst an gesellschaftliche und religiöse Grenzen, die wir vielleicht in Frage stellen wollen?

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Sophie Charlotte Rieger (www.filmosophie.com)