Exklusion, Separation, Integration, Inklusion

Einige Begriffe kurz erklärt

Von Pia Kuhlmann  |  Erschienen in HERRLICH 02|2023, Seiten 43-45  |  2:31 MIN

 

Für was steht der Begriff Inklusi­on? Was will dieses Wort eigentlich beschrei­ben? Hierfür eine Definition des Begriffs:

Von Inklusion wird vor allem im Kontext der sozialen Teilhabe und des Umgangs mit Vielfalt gesprochen. Soziale Teilhabe meint, dass Menschen am Leben in der Gemeinschaft teilhaben können. Sie umfasst das politische Leben, kulturelle Aktivitäten sowie bezahlte und unbezahlte Arbeit.
Inklusion beschreibt eine Haltung gegenüber Personen, die aufgrund ihrer Fähigkeiten, Merkmale oder Hintergründe von bestimmten gesellschaftlichen Prozessen ausgeschlossen oder eingeschlossen werden.

Häufig wird dabei von einem weiten und einem engen Inklusionsbegriff gesprochen:

Der enge Inklusionsbegriff bezieht sich auf Menschen mit Behinderung, während der weite Inklusionsbegriff folgende Ebenen mit einbezieht: Gender, Kultur und Religion, Migration, Behinderungen, sozioökonomische Benachteiligung usw.

Das Ziel von Inklusion ist eine Gesellschaft, in der jeder Mensch akzeptiert wird und gleichberechtigt und selbstbestimmt an ihr teilhaben kann.

Das geschieht unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft, Religionszugehörigkeit, Bildung oder Behinderungen.

In einer inklusiven Gesellschaft geht es daher nicht nur um die Einbeziehung von Menschen, sondern um das Recht auf Teil­ habe jedes Einzelnen.

Einbeziehung würde Menschen zwar in Entscheidungsprozesse hineinnehmen, sie aber nicht selbstständig ihre eigenen Prozesse gestalten lassen.

Teilhabe hingegen sorgt dafür, dass die Menschen aktiv ihre Möglichkeiten einbringen und Entscheidungen treffen können. Inklusion fordert, dafür Systeme zu schaffen, Barrieren abzubauen und Teilhabe aktiv zu fördern. 

 

Der Begriff der Inklusion wurde am Anfang dieses Jahrhunderts stark durch die UN­-Behin­dertenrechtskonvention verbreitet.

Zuvor war Integration das gängige pädago­gische Konzept. 2008 trat diese Konvention
in Kraft und ist damit das erste universelle Rechtsinstrument, das bestehende Menschen­ rechte auf die Lebenssituation von behinder­ten Menschen konkretisiert.
Dadurch wird das allgemeine Verständnis von Behinderung verändert: Es gilt nicht mehr das vorherrschende defizitorientierte Verständnis, das Menschen mit Behinderung als Personen darstellt, die Hilfe benötigen und krank / fehlerhaft / nicht normal sind. Die Behinder­tenrechtskonvention würdigt Behinderung als Teil der Vielfalt menschlichen Lebens.
So entsteht ein kompletter Paradigmenwech­sel und damit auch eine Haltungsänderung, die sich auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und auf die Menschenrechts­verträge der Vereinten Nationen bezieht.

Seit dem 26. März 2009 ist die UN­-Behinder­tenrechtskonvention in Deutschland in Kraft. Sie ist damit geltendes Recht, das von allen staatlichen Stellen umgesetzt werden muss.

Artikel 3 der Behindertenrechtskonvention bestimmt die allgemeinen Grundsätze. Diese sind bei allen Entscheidungen und Angeboten heranzuziehen. Es gilt:

  • Die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Unabhängigkeit im Sinne von Selbstbestimmung
  • Die Nichtdiskriminierung
  • Die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft
  • Die Achtung der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen und die Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit
  • Die Chancengleichheit
  • Die Zugänglichkeit (Barrierefreiheit) 
  • Die Gleichberechtigung von Frau und Mann
  • Die Achtung vor den sich entwickelnden Fähigkeiten von Kindern mit Behinderung und die Achtung ihres Rechts auf Wahrung ihrer Identität

 

Seit einigen Jahren erweitert sich der Begriff, löst sich aus seinem Bezug zu Menschen mit Behinderung und wird immer mehr zu einem generellen Prinzip für den gesellschaftlichen Umgang mit Vielfalt (vom engen Begriff der Inklusion zum weiten Begriff).

Dieses neue Verständnis wird auch in einer veränderten pädagogischen Grundhaltung deutlich: Es geht nicht mehr um Wohltätigkeit und Versorgung, sondern um Teilhabe und Gleichberechtigung.
Der Blick der Gesellschaft auf den oder die Einzelne*n wird nun die neue Grundlage. Das Individuum steht im Mittelpunkt. Die Gesell­schaft wird dadurch bunter. Die „normale“ Masse, die es im Grunde genommen nie zu hundert Prozent gegeben hat, wird ersetzt durch eine Menge von einzigartig ausgestatte­ten Menschen, die sich durch ihre Unterschiedlichkeiten ergänzen und bereichern können. „Normal“ ist dann, dass alle verschieden sind.
Unsere Aufgabe als Gesellschaft ist es daher, alle Lebensbereiche so zu gestalten, dass alle Menschen sich darin barrierefrei bewe­gen können und es allen ermöglicht wird, die Gesellschaft mitzugestalten.
Lange Zeit wurden Personen, die „anders“ waren entweder ausgegrenzt (Exklusion) oder separiert. Früher gab es eigene Dörfer oder Anstalten, in denen Menschen mit Behinde­rung exklusiv und separiert lebten. Sie sollten im normalen Stadtbild nicht vorkommen. Exklusion war dabei eine allgemeine Ausgren­zung, Separation das Zusammenlegen von bestimmten definierten Gruppen, z. B. in Form von Blindenschulen, Förderschulen usw.
Durch das Konzept der Integration wurde versucht, dies aufzulösen. Menschen mit Behinderung sollten als „Menschen mit beson­deren Herausforderungen“ in die „normale“ Gesellschaft eingebunden werden.
Bei Inklusion ist der große Unterschied nun, dass es sich dabei um eine ganz andere Grundhaltung handelt: Es geht nicht mehr um ein „ihr“ und „wir“ und darum, wie „ihr“ zu unserem „wir“ dazu kommen könnt. Es geht um ein „ich“ und „du“ und wie es möglich ist, dass wir beide beteiligt werden, unsere Entscheidungen selbst treffen können und ein Teil unserer Gesellschaft sind.
Wichtig ist dabei die Einsicht: Inklusion ist ein Prozess. Es gibt keine vorgefertigten Lösungen, sondern Wege und Möglichkeiten, die durch gute Rahmenbedingungen unter­ stützt werden. Das Ziel ist, dass Menschen mit und ohne Behinderung ihren Platz in der Gesellschaft finden, Angebote mitgestalten, sich beteiligen und alltäglich Gesellschaft und Gemeinschaft mitprägen. 

 


Pia Kuhlmann
ist Projektleitung des Projektes „Zusammen? Geht doch! – Inklusion in der evangelischen Kinder- und Jugendarbeit“ bei der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Jugend in Deutschland e.V.