Ein Schatz in einem irdenen Gefäß

2. Korinther 4,6-10

Von Peter Jörgensen  |  Erschienen in HERRLICH 01|2024, Seiten 6-9  |  11:34 MIN   

Die Mühen der Ebenen kennen wir. Und die Momente der Höhe, der lichten Höhe. Aus-Zeit. Schön und wundervoll, wenn jemand so etwas erleben kann: wie Petrus, Jakobus und Johannes mit Jesus auf dem Berg (Mt 17,1-9). Gott zu schauen, ohne Zweifel. Glauben zu können.

Es gibt Momente, in denen sehen wir völlig klar und haben keine Zweifel. Wir sind voller Vertrauen zu Gott und nichts macht uns unruhig. Für einen Augenblick erscheint uns unser Leben wie von Licht bestrahlt. Da wissen wir genau, wer wir sind und wohin wir gehören. Voller Überblick und Klarheit – solche Bergerfahrungen. Aus großer Distanz zu schauen, eine Auszeit zu haben. Augenblicke voller Lebensgewissheit. Und dann entsteht natürlich die Sehnsucht, das festzuhalten, dort zu bleiben.

Aber es sind nur Momente, die vorausgreifen auf eine Zukunft, auf etwas Vollkommenes, das wir noch nicht haben. Auf dem Weg dahin, das hat uns das Leben gelehrt, kann es mitunter auch dunkel werden und sein.

Wir brauchen aber immer wieder die Distanz zu unserem Alltag, den Abstand, die Pause. Das ist auch der tiefe Sinn des Ruhetages, den einzuhalten und zu beachten Gott uns ermuntert. Schabbat. Auszeit. Immer wieder. Um bei Gott zu sein, in seinem Licht, in seiner Gegenwart. Abstand zu haben zu dem, was dunkel ist und Mühe macht.

Hier in dieser lichten Höhe, in der Stille, in der Ruhe erleben wir, was ist, und ahnen, was kommt.

So wie Petrus, Jakobus und Johannes kannte auch Paulus den Moment in der strahlenden, verklärten Gegenwart Jesu. Sie war so hell, dass er danach zunächst im Dunkeln lebte, blind. Es war das wieder­gefundene Licht, was sein Sehen veränderte. Grundsätzlich. Und für immer. Paulus schreibt:

Denn Gott, der sprach: „Aus Finsternis soll Licht hervorleuchten“, der ist es, der in unseren Herzen aufgeleuchtet ist zum Aufstrahlen der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu Christi. Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt. In allem bedrängt, aber nicht in die Enge getrieben, ratlos, aber nicht verzweifelt, verfolgt, aber nicht verlassen, niedergeworfen, aber nicht vernichtet. Allezeit tragen wir Jesu Sterben an unserem Leibe umher, damit auch Jesu Leben an unserem Leibe offenbar wird. (2. Korinther 4,6-10)

Dieser Text ist Teil der Beziehungsgeschichte des Paulus mit den Korinthern. Das sind viele Mühen der Ebene gewesen. Ein Beziehungsdrama, denn Paulus hat sie geliebt und war enttäuscht, verletzt. Sie hatten anderen zugejubelt, die mehr Glamour hatten als er. Und wie es in Beziehungsdramen geschieht, man nach Worten sucht und fragt: „Was haben die, das ich nicht habe? Was sind sie? Jünger, schöner, witziger, intelligenter? Ich nur der Apostel für euch, in Liebe zu euch. Und die? Die Super-Apostel, Über-Apostel? Was haben sie, das ich nicht habe? Warum schaut ihr nach ihnen, bewundert sie und lasst mich links liegen?“

Vor kurzem erschien die Missbrauchsstudie der EKD. Kaum besser als in der katholischen Kirche die Situation dort, in den Landeskirchen, den Gliedkirchen der EKD. Denn da, wo Macht ist, setzt der Missbrauch zum Sprung an. Überall.

„Der zerbrochene Krug“. Kleist vor mehr als 200 Jahren. Ein Stück von Macht und Missbrauch, auch von Machtmissbrauch. Das irdene Gefäß, also aus Erde, aus Ton, der Krug, zerbrochen.

Wenn wir auf Macht schauen, blicken wir oft auf Männer. Es gibt eine Sehnsucht nach starken Männern. Ich frage mich, woher diese Despoten und Diktatoren ihre Macht ziehen? Wie kommt das zustande? Es sind Tyrannen, die über Leichen gehen und doch ihre Fans haben, Zustimmung bekommen, Stimmen. Keine Frage, es sind üble Verbrecher. In der Politik. In den Religionen und Konfessionen und Denominationen. Wollt ihr Namen? Die Liste ist lang. Männer. Was macht die Macht mit uns?

Paulus wird durch seine Gemeinde in Korinth, die er gegründet hat und liebt, damit konfrontiert, was es bedeutet, wenn eine Sehnsucht nach Macht entsteht, die abseitig ist, vom Evangelium abweicht, von dem, was uns guttut und heilt. Paulus nennt die anderen Über-Apostel. Wir haben unsere Worte.

In Köln steht ein Dom. Das Symbol der Gotik, um darauf hinzuweisen, wie groß Gott ist. Dieser Dom beschämt. Weil er den Menschen zeigt, wie klein sie sind.

Es geht auch anders. Die Größe Gottes zu rühmen, seine Größe zu preisen, ihn anzubeten als den, der er ist und wurde: klein, niedrig, einer von uns. Die Größe Gottes zu besingen, seine Größe zu feiern, ist nicht zwangsläufig damit verbunden, andere zu demütigen, sie zu beschämen, klein zu machen. Das ist ganz und gar nicht der Weg, den Gott mit uns geht. Jesus, der zu uns kommt, ist ganz anders.

Paulus hält denen gegenüber, die anderes predigen, fest, worauf es wirklich ankommt, worum es wirklich geht: um Gottes Glanz und Gloria, um Gottes Herrlichkeit. Und die sehen wir im Angesicht Christi.

Es geht ihm darum, nicht mehr sein zu wollen, als Christus. Das Licht in unserem Leben, das in unser Leben hineinstrahlt und uns hell macht, unser Leben hell macht und durch uns hindurchstrahlt, ist ein Licht der Liebe. Christus kam und wurde gering und einer von uns. Als Diener. Als Heiland. Und wir sollten nicht mehr sein wollen als er. Er war wie wir: zerbrechlich, matt, gering. Und damit immer an unserer Seite.

Darum ist Macht für uns keine Option in diesem Sinne, wie sie in der Welt gelebt wird. Wir leben den Dienst des Geistes, der Versöhnung, um das Zerbrechliche zu heilen.

Bedrängt, ratlos, verfolgt, niedergeworfen – das kennen wir. Wenn wir im Auftrag Gottes unterwegs sind, gilt aber gleichzeitig: Wir werden bedrängt, aber Gott stellt unsere Füße auf weiten Raum (Ps 31,9). Wir sind immer wieder ratlos, aber getröstet (2 Kor 1,3). Wir kennen Verfolgung, mehr im übertragenen Sinne, nicht ernst genommen zu werden, sind aber begleitet von Christus (Mt 28,20). Und manchmal fühlen wir uns vielleicht wie am Boden, niedergeworfen vom Schicksal oder von Menschen, aber wir bleiben heil. Gott selbst leuchtet aus unseren Herzen (2 Kor 4,6), und wir haben ein himmlisches Zuhause (2 Kor 5,1).

Irdene Gefäße. Aus Ton, voll lieblichem Duft. Ein Wohlgeruch und ein Hinweis, hier ist etwas zum Genießen.

 Gott aber sei gedankt, der uns allezeit im Triumph mitführt in Christus und offenbart den Geruch seiner Erkenntnis durch uns an allen Orten! Denn wir sind für Gott ein Wohlgeruch Christi unter denen, die gerettet werden, und unter denen, die verloren werden: diesen ein Geruch des Todes zum Tode, jenen aber ein Geruch des Lebens zum Leben. Und wer ist dazu tüchtig? Wir sind ja nicht wie die vielen, die mit dem Wort Gottes Geschäfte machen; sondern wie man aus Lauterkeit und aus Gott redet, so reden wir vor Gott in Christus.“ (2 Kor 2,14-16)

Damit andere diesen Wohlgeruch riechen können.

Wir blicken auf ein Bild eines irdenen Gefäßes, einer Schale, die verletzt wurde, die zerbrach (s.u.). In Japan ist das eine Kunst, Kultur: Kintsugi (https://www.ad-magazin.de/article/kintsugi).

Was zerbrochen ist, muss nicht weggeworfen werden. Im Gegenteil: Es kann, erneut zusammengesetzt, zu einer Schönheit erstrahlen, die von Gott her etwas völlig Neues aufstrahlen lässt.

Irdene Gefäße, beschädigt, zerbrochen, aber nicht kaputt, werden geheilt und zu einem neuen Ganzen, Wunderschönen, voller Gold.

„Jeden Morgen gießt Gott von Neuem seiner Welt Sonne in das Angesicht. Und sagt zu ihr: Du meine Schöpfung. Jeden Morgen weckt der Ewige von Neuem Leben in uns. Und sagt zu uns: Ihr, meine Wohnung! An jedem Morgen blickt der Vater dem auferstandenen Christus in das Angesicht. Und sagt zu ihm: Du, mein Sohn. An jedem Ostermorgen wischt Gott unsere Tränen mit einem Lächeln weg. Und sagt zu uns: Ihr meine Kinder.

Und Gott spricht sein Lichtwort eben nicht bloß dort hinein, wo es ohnehin schon hell und freundlich ist. Sondern in das Chaos der Welt, in das Dunkel unserer Herzen, in das Grau unserer Seelen. Es werde Licht! Und es ward Licht. Gott spricht sein schöpferisches Wort wieder und wieder, bis in alle Ewigkeit. Gott sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten. Und es wird immer wieder Licht, es wird hell in der Welt alle Morgen neu.“ (M. Rost).

Peter Jörgensen ist Pastor der Baptistenkirche Wedding und Europa-Repräsentant der internationalen Organisation „Religions for Peace“.