Körper und Seele: Eine untrennbare Einheit
Von Gerrit Brandt | Erschienen in HERRLICH 01|2025, Seiten 28-33 | Lesezeit: 4:26 Min
Seit Jahrhunderten beschäftigen sich Philosophen, Ärzte und Psychologen mit der Frage, wie Körper und Seele zusammenhängen. Sind sie zwei getrennte Welten, oder bilden sie eine Einheit? Auch wenn wir heute wissen, dass Körper und Seele untrennbar miteinander verbunden sind, erscheint andererseits der sogenannte „Leib-Seele-Dualismus“, also die Vorstellung, dass Leib (Körper) und Seele (Geist) zwei unterschiedliche, voneinander getrennte Entitäten sind, nach wie vor deutlich wirksam. So sind Einschätzungen, dass Beschwerden psychosomatischer Natur seien, immer noch häufig mit dem Erleben verknüpft, dass Beschwerden nicht anerkannt werden, gleichsam nur „eingebildet“ sind, um nur ein Beispiel zu nennen. Auch im Christentum und anderen Religionen kommt die Vorstellung eines dualistischen Menschenbildes zum Ausdruck. So wird hier ein vergänglicher und weltlicher Körper der nach dem Tod fortbestehenden Seele gegenüber gestellt.
In diesem Beitrag werfen wir einen Blick darauf, wie unser körperliches und seelisches Befinden zusammenwirken. Wir klären, warum Stress uns krank machen kann, wie Gefühle unseren Körper beeinflussen und was es bedeutet, ein psychosomatisches Wesen zu sein.
Der Körper als Spiegel der Seele
Haben Sie schon einmal gemerkt, dass Sie bei Nervosität Bauchschmerzen bekommen? Raubt Ihnen manchmal etwas den Atem? Oder haben Sie festgestellt, dass Sie schneller erkältet sind, wenn Sie unter großem Stress stehen? Solche Erlebnisse sind keine Einbildung, sondern Ausdruck der engen Verbindung zwischen Körper und Seele. Unser Körper reagiert ständig auf unsere Gedanken, Gefühle und Lebensumstände – oft, ohne dass wir es bewusst wahrnehmen.
Psychosomatik ist der Fachbegriff für dieses Zusammenspiel. Er leitet sich aus den griechischen Wörtern „Psyche“ (Seele) und „Soma“ (Körper) ab und beschreibt, wie psychische Belastungen körperliche Beschwerden auslösen können. Dabei geht es nicht nur um kurzfristige Reaktionen wie Herzklopfen bei Angst, sondern auch um chronische Erkrankungen, die durch seelische Belastungen verstärkt oder sogar verursacht werden können.
Wie die Psyche den Körper beeinflusst
Unser Gehirn ist wie eine Schaltzentrale, die ständig Signale an den Rest des Körpers sendet. Dabei spielt das vegetative Nervensystem eine entscheidende Rolle. Es ist verantwortlich für viele automatische Funktionen wie Herzschlag, Atmung und Verdauung – und es reagiert stark auf unsere Gefühle.
1. Stress und seine körperlichen Folgen
Wenn wir gestresst sind, schüttet unser Körper Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol aus. Kurzfristig macht uns das wachsam und leistungsfähig – eine nützliche Reaktion, wenn wir beispielsweise einer Gefahr entkommen müssen. Doch Dauerstress kann den Körper belasten. Erhöhte Cortisolwerte schwächen das Immunsystem, fördern Entzündungen und erhöhen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
2. Angst und Schmerz
Angstzustände können nicht nur Herzklopfen und Schweißausbrüche auslösen, sondern auch chronische Schmerzen verstärken. Studien zeigen, dass Menschen, die unter Depressionen oder Angststörungen leiden, häufiger Rückenschmerzen, Kopfschmerzen oder Muskelverspannungen haben.
3. Positive Gefühle und Heilung
Die Verbindung zwischen Körper und Seele funktioniert jedoch in beide Richtungen. Positive Emotionen wie Freude oder Dankbarkeit können Heilungsprozesse fördern. Glückshormone wie Endorphine wirken wie natürliche Schmerzmittel, und Optimismus ist ein bewährter Schutzfaktor für die Gesundheit.
Der Körper spricht, wenn die Seele leidet
Manchmal äußern sich seelische Probleme über den Körper – oft, weil uns die Worte fehlen, um sie auszudrücken. Hier einige Beispiele, wie emotionale Belastungen körperlich spürbar werden können:
Magen-Darm-Beschwerden
Stress und Sorgen schlagen oft „auf den Magen“. Reizdarm, Durchfall oder Übelkeit sind häufige Symptome.
Herz und Kreislauf
Anhaltende psychische Belastungen können Bluthochdruck und Herzrhythmusstörungen begünstigen.
Hauterkrankungen
Hautprobleme wie Neurodermitis oder Akne verschlimmern sich oft in stressigen Phasen. Die Haut gilt nicht umsonst als „Spiegel der Seele“.
Schlafstörungen
Wer emotional belastet ist, schläft oft schlecht. Schlafmangel wiederum schwächt die körperliche und seelische Regeneration.
Wie der Körper die Seele beeinflusst
Die Verbindung zwischen Körper und Seele ist keine Einbahnstraße. Auch körperliche Erkrankungen können psychische Folgen haben. Chronische Schmerzen, Mobilitätseinschränkungen oder schwere Diagnosen wie Krebs belasten die Seele und führen nicht selten zu Depressionen oder Angststörungen.
Zudem spielen Lebensstil und Ernährung eine wichtige Rolle für unser psychisches Wohlbefinden. Eine unausgewogene Ernährung, Bewegungsmangel oder Schlafdefizite können die mentale Gesundheit beeinträchtigen. Umgekehrt hilft ein gesunder Lebensstil, Körper und Geist im Gleichgewicht zu halten.
Die Wissenschaft hinter Körper und Seele
Die moderne Wissenschaft bestätigt, was viele Kulturen schon lange wissen: Körper und Seele sind eng miteinander verflochten. Besonders die folgenden drei Bereiche zeigen, wie stark diese Verbindung ist:
1. Psychoneuroimmunologie
Dieses Forschungsfeld untersucht, wie psychische Zustände das Immunsystem beeinflussen. Zum Beispiel schwächt chronischer Stress die Abwehrkräfte, während positive Emotionen die Immunantwort stärken können.
2. Die Darm-Hirn-Achse
Unser Darm ist eng mit dem Gehirn verbunden. Tatsächlich sprechen manche Wissenschaftler vom „Bauchhirn“, weil der Darm über Milliarden von Nervenzellen verfügt. Eine gestörte Darmflora kann nicht nur Verdauungsprobleme, sondern auch depressive Symptome hervorrufen.
3. Neuroplastizität
Das Gehirn ist erstaunlich anpassungsfähig. Es kann sich durch Gedanken, Erfahrungen und sogar durch gezieltes Training verändern. Meditation, Achtsamkeit und positive Denkmuster können daher messbare Effekte auf die Gehirnstruktur und das Wohlbefinden haben.
Ganzheitliche Ansätze für Gesundheit und Wohlbefinden
Eine gute psychosomatische Gesundheit bedeutet, Körper und Seele in Einklang zu bringen. Das erfordert oft eine ganzheitliche Herangehensweise, die sowohl körperliche als auch seelische Aspekte berücksichtigt. Hier einige Ansätze:
Stressmanagement
Entspannungstechniken wie Yoga, Meditation oder Atemübungen helfen, Stress abzubauen und die innere Balance zu finden.
Bewegung
Regelmäßige körperliche Aktivität fördert nicht nur die körperliche Gesundheit, sondern hebt auch die Stimmung. Sport kann sogar bei Depressionen ähnlich effektiv sein wie Medikamente.
Psychotherapie
Gesprächstherapien wie die kognitive Verhaltenstherapie können helfen, belastende Gedanken und Gefühle zu bearbeiten und neue Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Andere Psychotherapieformen wie die tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapien beziehen sich auf die Vorstellung, dass der Körper Projektionsfläche für seelisches Leid und innerpsychische Konflikte sein kann und schreiben körperlichen Symptombildungen auch eine Funktion im Sinne der Abwehr innerpsychischer Belastungen zu.
Soziale Unterstützung
Gute Beziehungen und soziale Kontakte sind ein wichtiger Schutzfaktor für die seelische Gesundheit.
Ernährung
Eine ausgewogene Ernährung, die reich an Vitaminen, Mineralstoffen und gesunden Fetten ist, unterstützt Körper und Geist gleichermaßen.
Fazit: Ein psychosomatisches Wesen sein
Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Teile. Körper und Seele sind keine getrennten Einheiten, sondern bilden eine Einheit, die sich gegenseitig beeinflusst. Um gesund und glücklich zu leben, sollten wir sowohl auf unseren Körper als auch auf unsere seelischen Bedürfnisse achten.
Diese Erkenntnis ist nicht nur eine Einladung, achtsamer mit uns selbst umzugehen, sondern auch ein Appell, die ganzheitliche Sichtweise in der Medizin und im Alltag stärker zu verankern. Wenn wir lernen, die Sprache unseres Körpers zu verstehen und unsere seelischen Bedürfnisse ernst zu nehmen, können wir zu einem Leben in Balance finden. Denn: Ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper – und umgekehrt.
Gerrit Brandt
Gerrit Brandt wurde 1978 in Graz geboren, ist 2004 der Liebe zum Fachgebiet Psychosomatik wegen nach Deutschland emigriert und wiederum der Liebe privater Natur bis heute dort verblieben. Seit 2016 ist er hier als leitender Arzt der Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Klinik Rüdersdorf tätig.