15 Jahre Sichere Gemeinde

Eine kurze Standortbestimmung von innen heraus

Von Jason Querner  |  Erschienen in HERRLICH 01|2024, Seiten 10-13  |  7:32 MIN    

Gestern

 5:31 MIN  Seit meinem Dienstantritt in der GJW Bundesgeschäftsstelle in Elstal bin ich das Bindeglied zwischen dem Fachkreis Sichere Gemeinde und der Geschäftsstelle. Fachkreise haben im GJW die Funktion, bestimmte Anliegen dauerhaft wachzuhalten. „Auf dem Weg zur sicheren Gemeinde“ möchte Kinder und Jugendliche vor Gewalt und Machtmissbrauch schützen, Mitarbeitende für das Themenspektrum sensibilisieren und Strukturen innerhalb des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden verändern, die Gewalt und Machtmissbrauch begünstigen.

Seit meinem Einstieg in den Fachkreis Ende 2015 bin ich beeindruckt von der Kompetenz und Leidenschaft seiner Mitglieder und konnte sehr viel von ihnen lernen. Die Schaffung des Fachkreises, die feste Implementierung des Anliegens in eine Struktur, ist eins der wichtigsten Elemente auf dem Weg zur sicheren Gemeinde. Fast 40 Personen haben in 15 Jahren im Fachkreis und seinem Vorläufer mit viel Engagement und in der Regel ehrenamtlich mitgearbeitet. Themen und Schulungen wurden entwickelt, Fachtage und Impulsabende organisiert, Schulende und Vertrauenspersonen begleitet, Materialien publiziert, Standards zur Mitarbeit entwickelt und gegen einige kircheninterne Widerstände mit viel Liebe das Anliegen des Kinderschutzes vorangebracht.

Heute

Gesellschaftlich und politisch hat der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gewalt und Machtmissbrauch in den letzten Jahren Wind in die Segel bekommen. Macht ein Verein, eine Musikschule, eine Organisation oder eine Kirche etwas mit Kindern, wird zu Recht erwartet, dass es ein Kinderschutzkonzept gibt.

Im GJW haben wir seit einigen Jahren Mindeststandards zur Mitarbeit. Sie regeln, wer welche Schulung besucht haben soll und in welchen Abständen ein Erweitertes Führungszeugnis vorgelegt werden muss. Unseren Umgang miteinander reflektieren wir verpflichtend mit unserem Kodex für Mitarbeitende. Kinderschutzkonzepte ergeben für konkrete Bereiche Sinn, weil in ihnen z. B. bestimmte Notfallkontakte und Ansprechpersonen festgehalten sind. Diese haben wir für einzelne Veranstaltungen und Regionen.

Ein Fokus liegt auf der Schulungsarbeit. Im Schnitt werden durch die verschiedenen GJWs insgesamt 50 Grundlagenschulungen pro Jahr gegeben und 2022/2023 wurden etwa 100 Gemeinden unseres Bundes erreicht.

Gemeinden, die ein eigenes Kinderschutzkonzept entwickeln wollen, bieten wir in Kooperation mit der Akademie Elstal ein Online-Coaching an. An sechs Abenden gibt es fachlichen Input, Austausch und immer eine Aufgabe zur Eigenarbeit. Diese wird beim nächsten Treffen vorgestellt und erhält Feedback.

Mit Online-Impulsabenden sprechen wir eine breite Zielgruppe zu spezifischen Fragestellungen an. Ich schätze den Austausch, der dort geschieht. Die Mischung aus Praxis und Fachlichkeit hat uns stets vorangebracht. So ist im Übrigen auch unser Handbuch „Auf dem Weg zur sicheren Gemeinde“ entstanden (s. Seite 13). Es fokussiert sich auf die Besonderheiten des freikirchlichen Gemeindekontexts. 

Morgen

Eine Beobachtung, eine Sorge, eine Hoffnung, eine Notwendigkeit und eine Bitte für die nächsten Jahre „auf dem Weg zur sicheren Gemeinde“.

Die Beobachtung:

Mit zunehmender Sensibilität und Achtsamkeit für übergriffiges und gewalttätiges Handeln in den verschiedenen Kontexten unseres Bundes äußern sich auch betroffene Erwachsene und suchen Unterstützung. Die geschilderten Übergriffe sind nicht alle strafbar, verletzen und schädigen tun sie jedoch immer. Hier zeigt sich, dass wir noch ein ganzes Stück davon entfernt sind, eine Kultur und Strukturen zu etablieren, die auch Erwachsene in unseren Kreisen besser schützen.

Die Sorge:

Bei der Vorstellung der ForuM-Studie im Januar 2024, die die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland untersucht (s. Seiten 42-47), sagte Detlev Zander, Sprecher der Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum der EKD:

„Der Föderalismus in der Evangelischen Kirche ist ein Grundpfeiler für sexualisierte Gewalt. Ihr wird Tor und Tür geöffnet. Der Föderalismus in der Evangelischen Kirche verhindert auch Aufklärung und Aufarbeitung sexualisierter Gewalt.“

Zander spricht hier die Gliederung in einzelne Landeskirchen an, von der die eine nicht weiß, was die andere macht. Mit Sorge schaue ich auf die sonst so gelobten subsidiären Strukturen im BEFG. Es gibt Aufgaben einer Kirche, die darf man nicht dem Gutwillen Einzelner überlassen. Prävention, Intervention und Aufarbeitung sexualisierter Gewalt brauchen starke Führung, verpflichtende Gesetze und professionelle sowie externe Unterstützung - immer.

Die Hoffnung:

Meine Hoffnung ist, dass Leitungen auf allen Ebenen Verantwortung für den Schutz von Kindern und Jugendlichen und für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt übernehmen werden. Das fängt bei den Gemeindeleitungen an und reicht bis in den Bundesrat, das Generalsekretariat und das Präsidium unseres Bundes.

In Aufarbeitungsprozessen machen Betroffene immer wieder deutlich, dass Leitungspersonen sie nicht ernst genommen und zu zögerlich gehandelt haben, was von ihnen als doppelte Schädigung empfunden wird. Meine Hoffnung ist, dass Leitungen sich mehr Expertise aneignen und mehr Verantwortung übernehmen.

Die Notwendigkeit:

Angesichts der anstehenden Aufgaben braucht es Fachpersonal, das im BEFG dafür zusätzlich angestellt wird, um Leitungen noch mehr in die Pflicht zu nehmen, weitere vulnerable Personengruppen in den Blick zu bekommen, Intervention zu professionalisieren und institutionelle Aufarbeitung anzustoßen.

Das Thema und unsere Verantwortung für eine gerechte Kirche sind zu groß, als dass es reichen würde, wenn ein paar GJW-Angestellte und Ehrenamtliche neben ihrer eigentlichen Arbeit ein paar Grundlagenschulungen zum Thema „Sichere Gemeinde“ geben.

Die Bitte:

Es mag sich anhören, wie „noch eins oben drauf“, „noch etwas, das Betroffene leisten müssen“. Es mag sich ungerecht anfühlen. Es ist aber ein Eingeständnis der eigenen Unzulänglichkeit.

Alles, was wir im GJW an Prävention und im BEFG an Intervention und Aufarbeitung tun, bleibt ungenügend ohne die Sicht und Beteiligung betroffener Personen.

Wir können euch nur bitten, euch und euer erlebtes Unrecht sichtbar zu machen, damit wir besser verstehen, aufarbeiten und zukünftiges Leid verhindern können.

Jason Querner ist Referent für die Arbeit mit Kindern im GJW. Fragen rund um Sichere Gemeinde sind wichtiger Teil seiner Arbeit.