Sieben Minuten nach Mitternacht

Die GJW Filmkritik im Mai

Worum geht’s?

Der junge Conor muss für sein zartes Alter schon ziemlich erwachsen sein, sich alleine Frühstück zubereiten und die Wäsche machen. Denn Conors Mutter ist schwer krank, der Vater vor vielen Jahren in die USA ausgewandert und die Großmutter ... nun ja, die hätte Conor lieber so wenig möglich um sich. Vor der harten häuslichen Realität und einem durch Mobbing gekennzeichneten Schulalltag flüchtet sich Conor in Tagträume und surreale Zeichnungen. Vielleicht ist es diese Realitätsflucht, die ihn so gelassen reagieren lässt, als um sieben Minuten nach Mitternacht die große Eibe auf dem Hügel zum Leben erwacht, mit dröhnenden Schritten und glühend roten Augen zu seinem Haus stampft und ihm Geschichten erzählen will. „Ich habe keine Zeit für Geschichten“, entgegnet Conor, doch das Monster lässt nicht locker. Wie aber sollen Geschichten helfen, seine Mutter zu retten und die Albträume zu verscheuchen?

Für wen ist der Film?

Auch wenn die Handlung märchenhafte Züge besitzt, so sorgen das Baummonster und seine düsteren Erzählungen für einen beträchtlichen Gruselfaktor. Zwar wird das unheimliche Auftreten von Conors neuem Freund immer wieder durch Humor gebrochen, so dass das Monster niemals wirklich bedrohlich wirkt, doch eignen sich die eindrücklich animierten Albtraum-Sequenzen definitiv nicht für Grundschulkinder. Offiziell ab 12 freigegeben, richtet sich „Sieben Minuten nach Mitternacht“ definitiv an ein Publikum im Alter des präpubertären Helden. Aber „Sieben Minuten nach Mitternacht“ ist weder ein reiner Kinder- noch ein Jugendfilm, sondern eigentlich ein Kinoerlebnis für alle Altersklassen, bietet doch Conors Situation, die Konfrontation mit dem Tod und den eigenen inneren Abgründen Anknüpfungspunkte für Zuschauer_innen aller Generationen.

Worum geht’s wirklich?

In „Sieben Minuten nach Mitternacht“ geht es im Grunde um das Theodizee-Problem: Warum passieren furchtbare Dinge, wie junge Mütter, die an Krebs sterben? Werden böse Menschen immer mit dem Pech bestraft? Und was sind eigentlich „böse Menschen“?

In den Geschichten des Baummonsters geht es um die Graustufen zwischen Gut und Böse. Conor muss lernen, dass es erstens unmöglich ist, über das eine oder andere zu urteilen, weil wir nie die gesamte Situation und Geschichte überblicken können, und dass zweitens die meisten Ereignisse und Menschen nicht an einem dieser Pole, sondern dazwischen auf den endlosen Graustufen zu finden sind. Und weil es so etwas wie böse Menschen eigentlich gar nicht gibt, gibt es in „Sieben Minuten nach Mitternacht“ auch keine Strafen. Selbst als Conor in seiner Verzweiflung die Einrichtung seiner Oma zertrümmert oder einen Schulkameraden zusammenschlägt, sieht keiner der Erwachsenen einen Sinn in strengen Sanktionen. Denn wenn einer eigentlich überhaupt nicht „böse“ ist, dann ist es Conor. Aber wenn Strafen nicht helfen, was dann?

Der Weg zur Wahrheit, auf dem das Baummonster den Jungen an die Hand nimmt, führt zur Selbsterkenntnis: Conor muss seinen Abgründen, seiner Schuld ins Auge sehen und sich dann vergeben. Dass gerade darin seine Rettung liegt, ist ein zutiefst christlicher Gedanke. Auch der wiederholte Satz „Glaube ist die halbe Heilung“ bietet einen Anknüpfungsunkt für religiöse Gespräche über unsere täglichen inneren und äußeren Konflikte zwischen der Präsenz Gottes und den Übeln der Welt.

Kinostart: 4. Mai 2017 

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Sophie Charlotte Rieger