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Courage, Courage!

Von mutigen Menschen in Kamerun berichten Alex Beer und Christian Rommert

Vor wenigen Wochen endete eine große Kampagne gegen Zwangsheirat und Prostitution, gegen Gewalt, dagegen dass Mädchen und Frauen von Bildung ausgeschlossen werden. Das Team der Mädchenschule Saare Tabitha war in den Dörfern unterwegs und versuchte, Männer, Bürgermeister und Pastoren davon zu überzeugen, mehr für die Rechte ihrer Töchter und Ehepartnerinnen zu tun. Durch viel zu früh arrangierte Ehen entstehen viele Probleme: frühe Scheidungen, HIV, Analphabetismus, Arbeitslosigkeit. Wird kein passender und zahlungsfähiger Ehemann gefunden, landen viele Frauen in der Prostitution. Häufig ist es die bittere Armut, die einen Vater zu der Entscheidung zwingt, schicke ich meinen Sohn oder meine Tochter zur Schule? Die Rechnung ist einfach: Geht meine Tochter zur Schule, kostet das mich Geld, wird meine Tochter verheiratet, bringt das mir Geld. Das ist der Grund, weshalb in manchen Regionen zwei von drei Mädchen nicht lesen und schreiben können und bereits mit fünfzehn verheiratet sind. Saare Tabitha hat viel zu tun.

In den vergangenen Monaten haben die Mitarbeitenden der Schule acht Dörfer als Stützpunkte gewonnen. Dort werden mit ca. 150 Menschen Gespräche geführt, Fortbildungen angesetzt und Werbung für das Recht der Mädchen auf Bildung gemacht. „Insgesamt hat dies Auswirkung auf ca. 4.700 Menschen in der Region“, beschreibt uns Viviane Tassi Bela. Sie arbeitet als Fachkraft des EED und als Genderberaterin in Saare Tabitha. „Es gibt religiösen Fundamentalismus. Es mangelt an einer wirksamen rechtlichen Unterstützung für Frauen“, berichtet sie weiter und Catherine Kolyang, die Direktorin der Mädchenschule ergänzt: „Viele der Frauen erleben Vergewaltigungen und Missbrauch und es gibt keine psychologische Betreuung in Nordkamerun.“ Die Probleme sind vielfältig. Sie werden unerträglich, wenn Naturkatastrophen dazukommen. Unbeachtet von der Weltöffentlichkeit kam es von Juli bis September 2012 zu massiven Überschwemmungen in der Region. Durch sie wurden mehr als 70.000 Menschen obdachlos. Saare Tabitha war auch hier zur Stelle. Die Mitarbeitenden beantragten Hilfsmittel bei der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und wandten sich in einem Hilferuf an den Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG). Aus dem Katastrophenfond wurden 10.000 € Soforthilfe zur Verfügung gestellt. Über 130 Familien konnte geholfen werden. Sie erhielten Hirse, Öl, Streichhölzer und Decken. Wir treffen einige Familien, die so unterstützt werden konnten. Wir erleben: Diese konkrete Hilfe schafft Vertrauen in die Arbeit von Saare Tabitha. Sie öffnet die Herzen für das, was die Mitarbeitenden außerdem zu sagen haben: Gebt euren Töchtern eine Chance! Schneidet sie nicht von Bildung ab! Keiner ist falsch aufgrund seines Geschlechts! Eure Mädchen können viel erreichen, wenn ihr sie nur lasst. In einer Region, in der Frauen verschleiert, verborgen, versteckt werden und in der Boko Haram Fuß fasst und eine französische Familie kidnappt, ist dies eine gefährliche Botschaft.

Auch im technischen Zentrum (CTM) begegnet uns viel Mut. Auch dort heißt die Vision Bildung. Doch während Saare Tabitha in erster Linie ein Sozialprojekt sein will, das Mädchen die Option auf ein besseres Leben gibt, steht im CTM die Frage im Mittelpunkt, wie Ausbildung mit einem hohen Standard gelingen kann. Hier geht es um staatlich anerkannte Abschlüsse, um zukünftige MultiplikatorInnen, um Talente, um Gründer kleiner wettbewerbsfähiger Unternehmen, um den Aufbau einer lebendigen Mittelschicht. „Es ist unsere Strategie, junge Menschen bestmöglich zu fördern und gleichzeitig immer unabhängiger von ausländischen Subventionen zu werden“, erklärt uns Betché Lambert, der Direktor der Schule. „Wir haben erkannt, dass die Gelder aus Europa nicht mehr ewig fließen werden. Wir müssen uns selber tragen!“, sagt er mit Nachdruck. Auf dem Weg zu diesem Ziel lässt sich Betché Lambert von deutschen Experten beraten. Drei Mal waren Mitarbeiter des Senior Expert Service vor Ort. Sie prüften die Rentabilität, beobachteten die Arbeitsabläufe und gaben konkrete Vorschläge zur Qualitätssicherung. Dabei geht es darum, die drei Säulen, auf denen die Arbeit des technischen Ausbildungszentrums steht, kontinuierlich weiterzuentwickeln. Lambert führte einen höherwertigen Schulabschluss ein, um weitere Schülerinnen und Schüler an das CTM zu ziehen. Mehr SchülerInnen bedeuten mehr Klassenräume und mehr Lehrpersonal. Die höheren Kosten versuchte er durch eine Schulgelderhöhung zu decken. Die Schülerinnen und Schüler sammeln ihre praktischen Erfahrungen in der Metall- und der Autowerkstatt. Hier lernen sie die Fertigkeiten, die sie später einmal brauchen, um als Mechatroniker oder Kfz-Mechaniker Arbeit zu finden. Außerdem werfen die Werkstätten Gewinne ab, die dann wieder zur Querfinanzierung des Schulbetriebes verwandt werden.

Als wir auf das Gelände kommen, hören wir es von überall her hämmern. Das CTM hat einen Großauftrag an Land gezogen und baut 8.000 Kochherde. Diese Aufträge sind es, die bewirken, dass sich der Direktor nun schon das zweite Jahr über einen positiven Haushalt freuen kann. Leider sind solche Großaufträge noch nicht Normalität, so dass die Subventionen des GJWs das Risiko abfedern müssen. Aber die nächsten Schritte werden unternommen. Die Werkstatt wird modernisiert. Durch die neu entstandene Uni gibt es neue westliche Autos mit moderner Technik, die immer wieder repariert werden müssen. Das geht nicht mit Werkzeugen aus den achtziger Jahren. Die Maschinen müssen nachgerüstet, modernes elektronisches Gerät muss angeschafft werden. Das GJW hilft mit der Aktion „Männerträume werden wahr…“ und stellt 50.000 € zur Anschaffung einer Hebebühne, moderner Technik und zeitgemäßer Schulungsmaterialien in Aussicht. Leider haben wir trotz großer Bemühungen erst 35.000 € Spenden dafür erhalten. Wir hoffen auf weitere Unterstützung und vereinbaren die Priorisierung der Anschaffungen. Denn nur eine moderne Werkstatt kann auf dem Markt in Maroua bestehen. Das ist das Kuriose an der Situation: In all den Jahren hat man sich durch die abgehenden Schüler selber eine starke Konkurrenz geschaffen. Will man ihnen nicht schaden, muss man sich auf die Autos mit einer komplizierteren Technik konzentrieren, die von den kleineren Werkstätten nicht repariert werden können.

Am Tag, als wir in den Norden reisen wollen, hören wir die beunruhigende Nachricht: Sieben französische Touristen wurden unweit von Maroua gekidnappt. Darunter vier Kinder. Die französische Regierung erklärt Maroua und den Norden zur roten Zone. Touristen werden aufgefordert, die Region zu verlassen. Nur wer wirklich aufgrund seiner Arbeit unbedingt hier sein muss, soll bleiben. Der französische Botschafter kommt. Kamerateams und Radiosender machen ihre Interviews. Unser Abschied im Norden steht im Zeichen dieser Betroffenheit. Wir hoffen, nur eine einzelne Episode und nicht den Anfang eines Verfallsprozesses zu erleben. Unsere Partner bestätigen uns, ihren mutigen Weg weiterverfolgen zu wollen. Die Hoffnung, die sie treibt, lautet: Wenn junge Muslime und junge Christen, Katholiken und Baptisten, Bamileke und Mafa ihre prägende Schulzeit gemeinsam erleben, werden sie kaum auf die Hassprediger mit ihren Vorurteilen hereinfallen. In den nächsten Monaten steht viel auf dem Spiel. Das Centre Technique de Maroua und Saare Tabitha brauchen weiter unser Gebet und unsere Unterstützung.

Christian Rommert

 

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