Wie kam das Böse in die Welt?

Gedankensplitter aus der Urgeschichte

Von Deborah Storek  |  Erschienen in HERRLICH 01|2023, Seiten 6-7  |  4:07 MIN  

 Wie kam eigentlich das Böse in die Welt? Warum ist der Mensch zu bösen Taten fähig, wenn er von einem guten Gott erschaffen wurde? Warum gibt es Gewalt im Tierreich; Naturkatastrophen, die Leben vernichten? Wie passt das alles mit dem Gott zusammen, von dem uns die Bibel berichtet? Mit einem Gott, der das Leben will, die Schwachen schützt und uns zur Liebe aufruft?

Wer mit offenen Augen durchs Leben geht, stolpert früher oder später über solche Fragen. Schon in der Bibel grübeln Menschen darüber nach, zum Beispiel in der Urgeschichte (1. Mose 1-11).

Viele lesen diese Kapitel als historische Geschichten. Dann hat Gott die Welt gut geschaffen (1. Mose 1), aber durch den Ungehorsam des Menschen kam das Böse in die Welt. Der „Sündenfall“ verdarb die gute Schöpfung (1. Mose 3).

Ich habe als Jugendliche lange versucht, diese Kapitel so „historisch“ zu lesen. Aber mit den wissenschaftlichen Erklärungen zum Ursprung der Welt habe ich das nie überzeugend zusammenbekommen. Einleuchtender fand ich später, was Bibelwissenschaftler sagen: Die biblische Urgeschichte will gar nicht erklären, wie die Welt entstanden ist. Sie sinnt eher darüber nach, warum sie so ist, wie sie ist.

Was ich besonders mag: Diese Erzählungen geben keine einfachen Antworten. Sie nähern sich den großen Rätseln dieser Welt vorsichtig und vielschichtig an. Auch zur Frage nach dem Bösen gibt es viele Ideen, von denen ich nur drei skizzieren will.

Am Anfang war das Chaos

Wasserfluten, Finsternis und Einöde (1. Mose 1,2). Gott drängt als Schöpfer zuerst diese lebensfeindlichen Mächte zurück. Das Licht begrenzt die Finsternis, das Wasser muss zurückweichen, damit Leben entstehen kann.

Im Alten Orient galt die „Urflut“ als „Chaosmacht“, als zerstörerische Kraft. Geheimnisvoll gibt so schon 1. Mose 1 eine erste Antwort auf die Frage nach dem Bösen: Das war nämlich einfach da, aber es wird von Gott beherrscht, zurückgedrängt, im Zaum gehalten. Was Gott selbst schafft, ist alles „sehr gut“.

Eine zweite Geschichte

1. Mose 2-3 erzählt vom Menschen als Liebespaar, das in einen könig­lichen Obstgarten gesetzt wird, am Ende aber unter Dornen und Disteln landet. Wie es dazu kommt, das wird spannend erzählt und ist (so die Forschung heute) nicht nur negativ.

Das Wort „Sünde“ kommt in der sogenannten „Sündenfall-Geschichte“ gar nicht vor; die Schlange ist ein kluges Tier, nicht der Satan, wie spätere Ausleger vermuteten. Alles begann mit dem Wunsch, Erkenntnis von Gut und Böse zu erlangen, also weise zu werden. Ein gutes Ziel! Aber es ging mit dem Misstrauen gegen Gott einher, mit der Übertretung seines Gebots, mit Lügen und Scham.

Eine zwiespältige Geschichte, ähnlich wie die ... Pubertät. Auch dieses Erwachsenwerden hat zur Folge, dass die Menschen nicht im Paradies bleiben (mit Vollversorgung!), sondern ausziehen müssen. Jetzt werden ihnen alle Härten des Lebens zugemutet: mühsame Arbeit, Schmerzen bei Schwangerschaft und Geburt, Herrschaftsstrukturen, giftige Tiere und Tod. Einerseits sind das Strafen. Andererseits landet der Mensch am Ende genau da, wo er nach 1. Mose 2,5 hingehört: auf dem Acker, den er bebauen soll. Die Bedrängnisse des Lebens sind hier so etwas wie die Schattenseite der menschlichen Mündigkeit. Der Mensch ist beides: hoch begabt (mit Weisheit und Freiheit) und schmerzhaft begrenzt (durch Mühen, Schmerzen und Tod).

Ein letzter Einblick

Die Sintflut. 1. Mose 6,5-6 erzählt, wie es dazu kam: „Der HERR sah, dass auf der Erde die Bosheit des Menschen zunahm und dass alles Sinnen und Trachten seines Herzens immer nur böse war. Da reute es den HERRN, auf der Erde den Menschen gemacht zu haben, und es tat seinem Herzen weh.“ Später wird es etwas anders ausgedrückt: Hier liegt der Fokus auf der Gewalt, mit der Menschen und Tiere die Erde erfüllt haben (6,11-13).

Es ist, als ob Gott selbst davon überrascht ist, was aus den Wesen geworden ist, die er doch „gut“ geschaffen hatte (1. Mose 1). Mit der Sintflut will Gott nun Bosheit und Gewalt ein Ende setzen. Das Problem: Auch danach bleibt der Mensch, wie er war: „böse von Jugend an“ (8,21). Geändert hat sich aber Gott: Er verspricht, nicht mehr vernichtend einzugreifen. Und er gibt Gebote, um die Gewalt zu begrenzen.

Was also sagt die Flutgeschichte über das Böse? Es gibt keine Erklärung, woher es kommt. Im Gegenteil, selbst Gott scheint darüber erschrocken. Deutlich wird aber: Gott will es nicht! Er hätte auch die Macht, der Gewalt Herr zu werden. Aber aus Liebe und Geduld mit uns hält er sich zurück. Er lässt uns gewähren, auch da, wo es ihn schmerzt.

Wie passen Gott und das Böse zusammen?

Die ersten Kapitel der Bibel entwickeln dazu einige Ideen, aber sie lassen auch vieles offen. Woher das Böse kommt? Keine Ahnung! Es ist einfach da, gehört zu dieser Welt wie der Schatten zum Sonnenschein. Doch bei allen bleibenden Fragen gibt die Urgeschichte eins nicht auf: das Vertrauen in die Güte Gottes. Er will das Böse nicht. Er drängt es zurück, um Raum für das Leben zu schaffen. Er nimmt es in Kauf, aus Liebe zu uns.

Bis heute bieten diese Texte damit viel Stoff zum Nachdenken – und stärken den Mut zum Weiterglauben.

 

Deborah Storek hat als Jugendliche eine Weile in Rehovot in Israel gelebt und später u.a. in Jerusalem studiert. Aktuell ist sie Dozentin für Altes Testament an der Theologischen Hochschule Elstal.