Ratlos vor dem Bösen

Drei Antwortversuche zu schwierigen Fragen

Von Volkmar Hamp  |  Erschienen in HERRLICH 01|2023, Seiten 12-17  |  8:29 MIN  

Die folgenden Antwortversuche zu schwierigen Fragen wurden dem Buch „glauben | lieben | hoffen. Grundfragen des christlichen Glaubens verständlich erklärt“ (S. 41-48) entnommen. Die Inhalte der Endnoten aus dem Buch wurden weitestgehend in den Text eingearbeitet, die Literaturhinweise auf die zitierte Literatur begrenzt.

Warum ist so vieles nicht perfekt, obwohl Gott die Welt gut erschaffen hat?

Diese Frage ist so alt wie die Menschheit. Antike Kulturen beantworten sie mithilfe von Mythen, Geschichten über den Ursprung und die Urzeit der Welt. In dieser Tradition steht auch die sogenannte Urgeschichte der Bibel (Gen 1–11).

Allerdings führt der biblische Monotheismus – der Glaube an nur einen Gott – dazu, dass bestimmte typische Elemente der altorientalischen oder griechischen Mythologie, wie der Kampf verschiedener Gottheiten, in der biblischen Urgeschichte nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. So werden auch die Konflikte zwischen Gott und der Menschheit nicht auf Streitereien zwischen verschiedenen Göttern zurückgeführt, sondern entstehen aus der gestörten Beziehung zwischen Gott und dem Menschen.

Die Erzählung vom Garten Eden (Gen 2,4–3,24) entfaltet diesen Gedanken. Weil der Mensch sich nicht mit dem ihm von Gott zugewiesenen Platz zufriedengibt, sondern sein will wie Gott (Gen 3,5), wird er aus der ursprünglichen Gemeinschaft mit seinem Schöpfer vertrieben und muss fortan sein Leben „jenseits von Eden“, das heißt getrennt von Gott, führen.

Dabei ist der Garten Eden, das „Paradies“, nicht in dem Sinn ein perfekter Ort, dass es dort nichts Negatives gegeben hätte. Die Schlange, die den Menschen verführt, gehört ganz selbstverständlich zu seinen Bewohnern. Und auch der Tod ist ihm nicht fremd. Die Vertreibung aus diesem Garten erfolgt ja gerade aus dem Grund, dass der Mensch, nachdem er vom Baum der Erkenntnis gegessen hat und weiß, was gut und was böse ist (Gen 3,6-7), nun nicht auch noch vom Baum des Lebens esse und ewig lebe (Gen 3,22).

Auch die gute Schöpfung Gottes in Genesis 1 ist eine aus dem Chaos hervorgegangene Schöpfung, eine gestaltende und ordnende Begrenzung des Chaos (Gen 1,1-3), keine perfekte creatio ex nihilo (Schöpfung aus dem Nichts).

Damit entspricht die Weltsicht der biblischen Schöpfungstheologien ziemlich gut heutiger Kosmologie, die mehr und mehr begreift, dass das Leben auf der Erde ein vermutlich einzigartiger kosmischer Glücksfall in einem ansonsten weitgehend lebensfeindlichen Universum ist.

Die Bibel geht freilich noch einen Schritt weiter. Sie begreift die Tatsache, dass wir nicht in einem Paradies leben, sondern in einer in vielerlei Hinsicht nicht perfekten Welt – und dass uns das bewusst ist (!) – als Folge der Sünde, der Trennung von Gott. Und die wirkt sich nach biblischem Verständnis nicht nur auf das Leben der Menschen aus, sondern auch auf die Natur, wie zum Beispiel die Geschichte von der Sintflut zeigt (Gen 6,5–8,22). Nicht nur der Mensch, die ganze Schöpfung ist durch die Trennung von Gott der Vergänglichkeit unterworfen und auf Erlösung angewiesen (vgl. Röm 8,18-22). Nicht nur dem Menschen, sondern der ganzen Schöpfung gilt aber auch die gute Nachricht von der Liebe Gottes und der Versöhnung mit ihm (vgl. Joh 3,16: „So sehr hat Gott den Kosmos geliebt ...“).

Insofern ist die Geschichte vom Garten Eden – wie die von der Erschaffung der Welt durch Gott (Gen 1,1–2,3) – auch eine Erinnerung an die Zukunft, in der Gott einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen wird, eine neue Welt, in der dann wirklich „paradiesische Zustände“ herrschen, eine Welt, in der es keine Tränen, keinen Tod, kein Leid, kein Geschrei und keinen Schmerz mehr geben wird (vgl. Offb 21,1-5).

  

Warum gibt es Böses und Leid in der Welt, wenn Gott allmächtig, liebevoll und gut ist?

Hinter dieser Frage verbirgt sich das sogenannte Theodizee-Problem, die Frage, warum der allmächtige Gott Leid, Übel und Böses in der Welt zulässt.

Eine klassische Formulierung dieses Problems, die dem griechischen Philosophen Epikur(ca. 341–271 v. Chr.) zugeschrieben wird, lautet folgendermaßen:

„Ist Gott willens, aber nicht fähig, Übel zu verhindern? Dann ist er nicht allmächtig. Ist er fähig, aber nicht willens, Übel zu verhindern? Dann ist er nicht allgütig. Ist er jedoch sowohl fähig als auch willens, Übel zu verhindern? Dann dürfte es in der Welt kein Übel geben!“ (Epikur zugeschrieben bei Laktanz, De ira dei 13,20-21)

Das Theodizee-Problem beschäftigt seit Jahrtausenden nicht nur Theologen und Philosophen. Es spielt auch in der persönlichen Glaubensgeschichte der meisten Menschen eine wichtige Rolle (vgl. Hanisch).

Die Ansätze zu einer Lösung sind vielfältig:
In manchen von ihnen wird das Übel relativiert, indem es in einen größeren Zusammenhang eingeordnet oder als Teil einer Entwicklung zum Guten gesehen wird. Andere weisen schon die Frage nach der Verantwortung Gottes für das Übel als anmaßend zurück. Oder sie nehmen diese Frage zum Anlass, Gottes Güte und Allmacht zu relativieren.

Schon die Vielfalt der Lösungsansätze zeigt, dass sich die Theodizee-Frage nicht abschließend beantworten lässt. Das Problem ist theoretisch unlösbar (vgl. Hoerster). Entscheidend ist, wie wir praktisch damit umgehen, wenn wir mit dem Bösen und dem Leid in der Welt konfrontiert werden, und was das mit unserem Glauben an Gott macht (vgl. Schuchardt).

Für viele Menschen erledigt sich durch die Existenz des Übels in dieser Welt auch der Glaube an Gott. Weil sie keine Lösung für das Theodizee-Problem finden, stellen sie die Existenz Gottes infrage und werden zu Atheisten (vgl. z. B. Kahl). Andere halten trotz aller Übel und in allem Leid am „Dennoch des Glaubens“ fest:

„Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich an meiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an. Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.“ (Psalm 73,23-26 LUT)

Der Prototyp solcher trotzig Glaubenden ist der biblische Hiob (vgl. Zahrnt und Schwienhorst-Schönberger). Seine Geschichte lehrt uns, dass das Leiden in dieser Welt nicht immer einem Tun-Ergehen-Zusammenhang folgt. Es gibt unverschuldetes, unverdientes Leid, das wir nicht als Strafe für Sünde oder gerechten Lohn für Fehlverhalten deuten können. Warum Gott solches Leid zulässt, wissen wir nicht. Aber spätestens seit Jesus wissen wir, dass Gott nicht apathisch (mitleidlos) über dem Leid der Menschen steht, sondern sympathisch (mitleidend) an ihrer Seite ist.

Der Theologe Heinz Zahrnt (1915–2003) fasst diese christlich-sympathische Antwort auf die Frage nach dem Leid in der Welt in dem von Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) geprägten Wortpaar „Widerstand und Ergebung“ zusammen:

„‚Widerstand‘ heißt, dass wir so viel aufhebbares Leid wie nur irgend möglich aus der Welt schaffen sollen, zumal, wenn es sich um das Leid anderer handelt.

‚Ergebung‘ heißt, dass wir das eigene unaufhebbare Leid annehmen und es so verarbeiten sollen, dass es uns befähigt, das Leid anderer mitzutragen.“ (Zahrnt, 89)

Wie das möglich ist, können wir vielleicht von dem österreichischen Psychiater Viktor Emil Frankl (1905–1997) lernen. Er hat auf der Grundlage seiner Erlebnisse und Erfahrungen in vier verschiedenen Konzentrationslagern während des Zweiten Weltkriegs die sogenannte Logotherapie entwickelt, einen therapeutischen Weg, der Menschen helfen soll, unvermeidbares Leid in Würde zu ertragen. Frankl schreibt:

„Das Leiden, die Not gehört zum Leben dazu, wie das Schicksal und der Tod. Sie alle lassen sich vom Leben nicht abtrennen, ohne dessen Sinn nachgerade zu zerstören. Not und Tod, das Schicksal und das Leiden vom Leben abzulösen, hieße dem Leben die Gestalt, die Form nehmen. Erst unter den Hammerschlägen des Schicksals, in der Weißglut des Leidens an ihm, gewinnt das Leben Form und Gestalt.“ (Frankl, 118) 

 

Gibt es den Teufel oder einen „Gegengott“

 In den Glaubensbekenntnissen der Alten Kirche taucht der Teufel nicht auf. In der Hebräischen Bibel, dem Alten Testament der Christenheit, erst sehr spät und eher am Rande. Eine größere Rolle spielt er in den Schriften des Frühjudentums (ca. 200 v. Chr. ‑ 200 n. Chr.), zum Beispiel im Henochbuch, sowie im Neuen Testament und in anderen urchristlichen Texten (vgl. Berger und Flasch).

Das hebräische Wort, das im Griechischen mit „Teufel“ (griech. diábolos = „Durcheinanderwerfer“ im Sinne von „Verwirrer, Faktenverdreher, Verleumder“) wiedergegeben wird, heißt Satan („Gegner, Ankläger“). Es kann einen Ankläger vor Gericht bezeichnen (Ps 109,6), einen Feind in Krieg und Frieden (1. Kön 5,4; 11,14.23.25) oder einen Gegner, der Widerstände in den Weg legt (Num 22,22).

Erst in späten alttestamentlichen Schriften (5.-3. Jh. v. Chr.), beim Propheten Sacharja und im Hiobbuch, taucht der Satan in der Rolle des Anklägers der Menschheit an Gottes Gerichtshof im Himmel auf (Sach 3,1-2; Hi 1–2). Im 1. Chronikbuch stachelt er König David zu einer Volkszählung an (1. Chr 21,1) – ein Vorgang, der im 2. Samuelbuch (6. Jh. v. Chr.) noch auf Gott selbst zurückgeführt wird (2. Sam 24,1).

Es scheint so zu sein, dass das Judentum erst in den Jahren nach dem babylonischen Exil (6.-4. Jh. v. Chr.) die Vorstellung vom Teufel als Gegenspieler Gottes und personifiziertem Bösen aufgenommen hat. Auch Himmel und Hölle als jenseitige Aufenthaltsorte für gute und böse Menschen spielten im älteren Judentum noch keine Rolle und gewannen erst in dieser Zeit an Bedeutung.

Die Begegnung mit dem Zoroastrismus, der dualistisch geprägten Religion Persiens, mag dabei ebenso eine Rolle gespielt haben wie die mit dem griechischen Denken. Über die jüdische Tradition sind diese Vorstellungen dann auch in die christliche und die islamische Religion eingegangen und dort zu zentralen Elementen geworden.

In früherer Zeit (8.-6. Jh. v. Chr.) gilt noch ganz selbstverständlich Gott selbst als Urheber von Heil und Unheil. So fragt der Prophet Amos:

„Trifft ein Unglück die Stadt und der Herr hat es nicht geschickt?“ (Amos 3,6b) 

Und im zweiten Teil des Jesajabuchs (Jesaja 40–55) lesen wir:

„Überall auf der ganzen Erde sollen sie erkennen, dass ich allein Gott bin, ich, der Herr, und sonst keiner. Ich mache das Licht und ich mache die Dunkelheit; Glück wie Unglück kommen von mir. Ich, der Herr, bin es, der dies alles vollbringt.“ (Jesaja 45,6-7) 

Man könnte sagen: „Es bedurfte nicht des Teufels, um das Schlechte in Gottes Welt plausibel zu machen.“ (Flasch, 76)

Im Neuen Testament sieht das ganz anders aus! Hier begegnen den Leserinnen und Lesern der Teufel und seine Untergebenen, die Dämonen, häufig. In den Evangelien – von der Versuchung Jesu in der Wüste (Mk 1,12-13; vgl. Mt 4,1-11; Lk 4,1-13) bis zu seiner Rede vom Weltgericht (Mt 25,42) – genauso wie in der Apostelgeschichte (Apg 5,3; 10,38; 13,10). Auch in vielen neutestamentlichen Briefen spielt der Teufel eine wichtige Rolle (z. B. 1. Tim 3,6-7; Eph 4,27; 6,11; Hebr 2,14; Jak 2,19; 4,7; 1. Petr 5,8; 1. Joh 3,8; 3,10; Jud 9), ebenso in der Offenbarung des Johannes (z. B. Offb 2,10; 12,9).

Doch was ist seine Rolle? Wozu ist der Teufel da? Der Neutestamentler Klaus Berger bringt die Antwort auf diese Frage so auf den Punkt: „Der Teufel ist dazu da, überwunden zu werden“ (Berger, 32) „Der Teufel ist dazu da, dass über allen Hass und Neid in der Welt, deren Zentrum er ist, die Herrlichkeit Gottes triumphiert“ (Berger, 238). Als Gegenspieler Gottes, in dem sich alles Böse und aller Hass konzentriert – so wie in Gott die Liebe (1. Joh 4,16) –, ist er doch kein Gegengott, sondern steht – als „gefallener Engel“ (Offb 12,9) – immer schon unter Gott.

Insofern ist der Gegensatz von Gott und Teufel kein wirklicher Dualismus. Gut und Böse stehen einander nicht als gleichrangige Grundprinzipien des Seins gegenüber. Das Gute (Gott) überwiegt und trägt letztendlich den Sieg über das Böse (den Teufel) davon. Das ist das Zentrum des christlichen Glaubens.

Doch bis es so weit ist, bis Gott seine Herrschaft endgültig aufrichtet, bleibt der Teufel als erfahrbare Macht, in der sich aller Hass und Neid dieser Welt konzentriert, eine Realität, mit der wir rechnen müssen. Satanskult und Satanismus sind nur die spektakulärsten Ausdrucksformen dieser Realität (vgl. Berger, 212-219). Teuflisches und Dämonisches begegnet uns auch andernorts – in Wirtschaft und Politik, in Gesellschaft  und Kultur. Aber mit der „Waffenrüstung“ Gottes (Eph 6,10-17) sind wir für den Kampf „gegen die Mächte und Gewalten der Finsternis, die über die Erde herrschen, gegen das Heer der Geister in der unsichtbaren Welt, die hinter allem Bösen stehen“ (Eph 6,12) gut gerüstet!

 

Volkmar Hamp ist Referent für Redaktionelles im Gemeindejugendwerk und Mitherausgeber des Buches „glauben | lieben | hoffen. Grundfragen des christlichen Glaubens verständlich erklärt“ (Witten 2021).

  

Literatur:

  • Klaus Berger: Wozu ist der Teufel da? Stuttgart, 1998.
  • Kurt Flasch: Der Teufel und seine Engel. Die neue Biographie. München, 2015.
  • Viktor Emil Frankl: Ärztliche Seelsorge. Grundlagen der Logotherapie und Existenzanalyse. Wien, 1946 (Neuauflage 2005).
  • Helmut Hanisch: Die zeichnerische Entwicklung des Gottesbildes bei Kindern und Jugendlichen. Eine empirische Vergleichsuntersuchung mit religiös und nicht-religiös Erzogenen im Alter von 7-16 Jahren. Stuttgart / Leipzig, 1996.
  • Norbert Hoerster: Zur Unlösbarkeit des Theodizee-Problems. In: Theologie und Philosophie 60 (1985),
  • S. 400-409 = Aufklärung und Kritik, Sonderheft 9 (2004), S. 221-233 (www.gpkn.de/hoerster_theodizee.pdf).
  • Joachim Kahl: Das Elend des Christentums oder Plädoyer für eine Humanität ohne Gott. Reinbek bei Hamburg, 1968 (erweiterte Neuausgabe 1993).
  • Erika Schuchardt: Warum gerade ich? Leiden und Glaube. Schritte mit Betroffenen und Begleitenden. Göttingen, 7. Aufl. 1993.
  • Ludger Schwienhorst-Schönberger: Ein Weg durch das Leid – Das Buch Ijob. Freiburg i. Br., 2007.
  • Heinz Zahrnt: Wie kann Gott das zulassen? Hiob – Der Mensch im Leid. München, 1985.