„Baptistische Identitäten verstehen, neu denken und entwickeln“ -

Ein Bericht zum Werkstattwochenende vom 22. - 24.1.2016 in Elstal

„Baptismus hatte ursprünglich viel mit Freiheit zu tun. (Diesen Grundgedanken finde ich aber nicht in allen BEFG-Gemeinden wieder)“,
„Alles darf sein, aber nicht alles darf gesagt werden.“, 
„Wir treten für Religionsfreiheit ein.“ –

All das und noch viel mehr antworteten die 18 Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei unserem Werkstattwochenende auf die Einstiegsfrage, wie sie ihre baptistische Identität beschreiben würden. Für die meisten aus unserer Gruppe war schon bei den Antworten auf diese Frage spürbar, dass wir immer wieder eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit empfinden. 

Verschiedene Grundgedanken des Baptismus machen uns stolz: Religionsfreiheit, Glaubens- und Gewissensfreiheit, Offenheit, Streitkultur, der Wille zur Einheit und Einmütigkeit, der Wille, allen Freiheit zuzugestehen, und so viel mehr begeistert uns. Darin finden wir uns wieder und so wollen wir Gemeinde leben. Nicole Witzemann, Andi Balsam, Oliver Pilnei und Ralf Dziewas nahmen uns mit auf eine Reise in die Geschichte, Gedankenwelt und Grundgedanken der Baptist Principles. 

 
Freiheit und Individualismus

Der Baptismus ist in seinen grundlegenden Gedanken aus dem Widerstand gegen die englische Staatskirche entstanden. Ein demokratisches Prinzip und ein starker Individualismus waren von Anfang an  wichtige Anliegen der baptistischen Menschen. Der einzelne Mensch ist Gott verantwortlich und keinem Menschen. Alle Menschen entscheiden selbst, was und wie sie glauben wollen. Auch die, die nicht an einen christlichen Gott glauben. Das ist ihr Recht und ihre von Gott geschenkte Freiheit. 

Freiheit und Einheit 
Ralf Dziewas führte aus, dass unsere Gemeinden in einem Spannungsfeld zwischen der Freiheit des einzelnen Menschen und dem Wunsch gemeinsam unterwegs zu sein, leben. Das geht nur, in dem wir diskutieren und streiten, denn nur so kommen baptistische Menschen zu lebbaren Ergebnissen. Es gibt eben keine menschliche Instanz, die vorschreibt, was sie zu glauben und zu denken haben. Manche Diskussion in unseren Gemeinden oder im Gemeindebund, die wir vielleicht als anstrengend und nicht zielführend empfinden, ist notwendig und gut. Andere Wege gibt es im Baptismus nicht. Wir „gönnen“ es uns, dass nicht einfach eine Mehrheit entscheidet, sondern eine Diskussion bis zum Ende geführt wird - und das manchmal über Jahre. Es gehört zu unserer Gemeinde-DNA, dass auch eine „biblische“ oder „geistgewirkte“ Einzelmeinung nicht „die Wahrheit“ sagt. Eine Diskussion endet dann, wenn wir verstehen, dass die andere Seite auch biblisch begründet zu ihrem Ergebnis kommt. Dann erst können wir uns stehen lassen. Einheit entsteht nur durch den Diskurs. „Streitkultur ist unsere große Kompetenz“ so Dziewas. 
Unsere Gesellschaft kann genau das von uns lernen. Dziewas fragte: Wofür machen wir uns als baptistische Menschen heute stark? Was für eine Gesellschaft wollen wir? Eine die den offenen Diskurs mit allen lebt, die da sind oder kommen, oder eine Gesellschaft die in Ghettos lebt, in denen alle nur in ihren eigenen Überzeugungen bestätigt werden? Gemeinde muss der Ort sein,  an dem wir diskutieren, reden und Bilder entwickeln. 

Freiheit und Toleranz
Anhand der Baptist Principles wird das sehr deutlich. Dort geht es immer wieder um die Freiheit des Einzelnen und zwar nicht aus Toleranzgründen, sondern auf der Grundlage großer Freiheit, die Gott allen schenkt. „Uns geht es nicht um bloße Toleranz, sondern um absolute Freiheit.  Zwischen Toleranz und Freiheit besteht ein grundsätzlicher Unterschied. Toleranz impliziert, dass jemand sich das Recht zu tolerieren anmaßt. Toleranz ist ein Zugeständnis, Freiheit ist ein Recht. Toleranz ist eine Frage der Zweckmäßigkeit, Freiheit ist eine Frage des Prinzips. Toleranz ist ein Geschenk von Menschen, während Freiheit ein Geschenk von Gott ist.“ (George W. Truett, President of SBC, 1864-1944).
Wir dachten dann gemeinsam darüber nach, was all diese Überlegungen  für die Kinder- und Jugendarbeit unserer Gemeinden (z.B. mit Kindern und Jugendlichen einen mündigen Umgang mit der Bibel einüben), unsere persönliche Spiritualität (z.B. Vielfältigen Formen Raum geben), für den Interreligiösen Dialog (z.B. Einsatz für Religionsfreiheit), für unsere Gemeinden (z.B. Gemeinden machen sich mit ihrem baptistischen Erbe vertraut und treten es an), die Ökumene (z.B. Botschaft an die anderen Kirchen, dass es einen 3. Weg gibt) und die Politik (z.B. Freiheit des Gewissens und der Religion  und der konsequenten Trennung von Kirche und Staat) bedeuten und wie wir sie umsetzen können. 

Freiheit und unsere baptistische Identität 
Die Eingangs- war dann auch die Ausgangsfrage: Was macht unsere baptistische Identität aus? - „Das Wissen, dass wir aus einem großartigen Freiheitsgedanken kommen, zeigt uns wo wir hinwollen.“ 
Auch wenn das gute Erbe, das wir haben, nicht immer und überall umgesetzt wird, wollen wir es in unseren Gemeinden und auch im Bund leben!

Vielen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kirche 21 und die Akademie in Elstal, die dieses Wochenende gestaltet und vorbereitet haben. 

Ein Artikel von Dagmar Wegener